Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/150

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Sprache verkündet der Verf. „einen entzückenden Morgenstern auf dem Gesichtskreise des polnischen Volksgeistes, der die östlichen Wolken röthe, und die Sonne der Nationalphilosophie, welche gewichtig hinter den dunklen Schatten hervorblicke.“ Unter 5 Abschnitten trägt er nun seine Meinung über Religion, Hierologie, Libertinismus, Philosophie und Theologie vor, die von seinen früheren Ansichten nicht sehr abweichend, allerdings gelesen zu werden verdient. Der ästhetisch-philosophische Artikel: „Stellung der Dichter in der Gesellschaft“ (S. 95—111) ist um so interessanter, als der Verf. Sew. Goszczynski (Goschczynski) selbst einer der besten polnischen Dichter der Gegenwart ist. Einzelne Grundsätze, die darin aufgestellt werden, klingen eigenthümlich genug: z. B. dass der Verstand, die Phantasie, die Sinne und dergleichen an dem Körper haften; das geistige Gefühl aber sei die Hauptkraft unter den Seelenkräften. Wie nun die Wissenschaften jenen materiellen Seelenkräften entsprächen, so entspräche die Poesie dem geistigen Gefühl. Und dadurch ist die Poesie eines der Hauptorgane zur Darstellung der religiösen Wahrheit. Denn dann ist die Poesie die Erhebung des Geistes einer Creatur zur Höhe des göttlichen Geistes; aber vermittelst einer Eigenschaft der Gottheit, der Schönheit. Und auf diesem Standpunkte ist die Poesie die höchste Wahrheit in der schönsten Form. Diese soll nun der Dichter sichtbar darstellen, und darum muss er der vollendetste Ausdruck der Bewegung, des Fortschrittes, der Vervollkommnung sein. Denn er ist gewissermassen das Organ der Zukunft für die Gesellschaft; er hat so ziemlich dieselbe Rolle in ihr, wie die Ahnung, das Vorgefühl in der Seele des Menschen. So haben auch die epischen Dichter, wenn gleich sie mit der Vergangenheit sich beschäftigten, doch aus ihr nur den Rahmen zu ihren Bildern für die Zukunft genommen. Und darum stellt der Verf. die israelitischen Propheten als Muster für die Dichter auf; sie hätten ihre Stellung durch Religion und Prophetie im Volke gehörig eingenommen. — Die nun folgende „Skizze der politischen Ereignisse im Jahre 1842 von Wolniewicz“ (S. 111—131) gibt eine kurze Uebersicht über den gegenwärtigen Zustand der Lebensfragen Europa’s. Gleich im Anfange wird Frankreich die „Initiative des Fortschrittes“ für ganz Europa zugeschrieben. Am interessantesten für uns war, was S. 116 über den russischen Einfluss in der Türkei, in den Donaufürstenthümern und in Serbien gesagt wird. In Hinsicht des Panslawismus sind wir, wie aus Artikel 1. dieses Heftes erhellet, ganz anderer Ansicht; und wir meinen, die Sache liege allzu klar vor Augen. Noch Niemand hat die Apostel des russischen Panslawismus genannt; man thue es doch; nur dann können wir an eine solche Tendenz in Petersburg glauben. Bis dahin halten wir uns an das, was sichere Fakta, und vor allem, was die Wahrscheinlichkeit gebietet. — Der 4. Artikel: „Von der Concentration der geistigen Bestrebungen und Leistungen im Grossherzogthum Posen von A. Cieszkowski“ ist einer der interessantesten des ganzen Bandes. „Um einen Brennpunkt des wissenschaftlichen Lebens im Grossherzogthum zu begründen (fängt derselbe an) und zugleich die Thätigkeit und Wirksamkeit der Bestrebungen zu erhöhen, welche zu einem allseitigen Fortschritt des Geistes beitragen können, wäre zu wünschen, dass in Posen eine „Gesellschaft der Freunde des Fortschrittes“ gegründet werde. Die wirksamsten Mittel, den Zweck der Vereinigung zu erreichen, werden sein: 1) Eröffnung eines Kampfplatzes für schriftliche sowohl als mündliche Discussion aller die Gesammtheit betreffenden Fragen. 2) Die Herausgabe einer nach Massgabe des Reichthums an Material monatlichen oder vierteljährigen Collectivschrift, worin die in den Sitzungen vorgelesenen oder aufgenommenen Abhandlungen zugleich mit dem Grundtext der Discussion, zu der sie Anlass gegeben, abgedruckt werden. 3) Eröffnung oder Feststellung von populären Vorträgen über physische und geistige Weissenschaften, die entweder das ganze Bereich einer einzelnen Wissenschaft oder auch die zugänglichsten und für die Menge wissenswerthesten und notwendigsten Resultate umfassen, wie das die zahlreichen absichtlich zu diesem Endzwecke gegründeten englischen Vereine thun. 4) Ausschreibung von Concursen und Aussetzung von Preisen für die Lösung von

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/150&oldid=- (Version vom 23.10.2019)