Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/124

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

und neigte sich bei jedem seiner Worte stillschweigend vor dem Gast. Ein feiner Gast (lomliwyj) nahm den Trank aus der Hand des Wirthes nicht an, er bat inständigst, die Hausfrau möge ihn bewirthen. Der Mann gab also seiner Frau den Teller. Der Gast nahm nun seinen Becher in die Hand, wünschte Jedem in der Familie tausend schöne Dinge an, und leerte ihn dann in einzelnen Absätzen; diess hiess mit gewichtigem Anstand trinken. Einem solchen Gaste erlaubte man der Hausfrau einen Kuss auf die Stirn zu drücken. Nach dem Tranke betheilte die Hausfrau sogleich ihre Gäste mit etwas Festerem zum „Beissen (zakusk)“, und beklagte bei jedem einzelnen, dass die ehrenwerthen Gäste zu wenig nähmen. Den jungen Frauen wurde kein Wein angetragen, sie gingen öfters selbst hinaus in die andern Zimmer, um einen Schluck Kwas zu nehmen. Dort brachte die Hausfrau einen dunkelfarbigen Krug zum Vorschein und bewirthete ihre schönen Freundinnen mit Kirschliqueur oder einjährigem, starken Meth. Den Mädchen bot man nichts an; sie hatten ihre Bündel bei sich, in denen ihnen die sorglichen Mütter allerhand Leckerbissen mitgegeben hatten. Die „Erwählten“ nahm man allemal für nicht trinkend und nicht essend (ne-pituschtschi) an; man meinte, die Liebe mache schon an sich satt.

 Unzählig und mannigfaltig waren die Speisen und Getränke, mit denen man die Gäste bewirthete, denn je mehr und je mannigfaltigeres man bot, desto glänzender und gastfreier zeigte man sich. War das Mahl zu Ende und wollten die Gäste, trotz allen möglichen Nöthigungen und Zuredungen, nichts mehr nehmen, da erschienen Spassmacher, um die Gäste zu unterhalten. In allerlei Kleider gehüllt, fingen sie an, russische Nationaltänze aufzuführen (pljasati) und Fabeln, Mährchen und Sagen zu erzählen, in welche sie oft die trefflichsten Sprichwörter einzuflechten und auf die Charaktere der Gäste und die Schwächen der besorgten Mütter, ihren Töchtern „Erwählte“ aufzusuchen, heiter und unschuldig spöttelnd anzuspielen wussten. Nachdem sie die Gäste so unterhalten, entliessen der Hausherr und die Hausfrau dieselben mit höflichem Danke und gaben ihnen mancherlei Leckerbissen und allerlei Geschenke mit auf den Weg. Mit ihnen zogen sich nach Erlaubniss des Herrn und der Frau auch die Verkleideten und Maskirten zurück. Die unterhaltendsten und gangbarsten Masken der Verkleideten waren: Bäre, Ziegen, blinde Lazarus, Kämpfer und dergleichen. Statt der Schminke rieben sie sich das Gesicht mit Russ ein und rötheten es mit gestossenen Ziegel. Auf den Kopf setzte man eine schlechte Mütze ohne alle Form; die Ziege und den Bär hüllte man in umgewandte Pelze von Schaaffell. Die blinden Lazarus’s erschienen in zerlumpten Kaftanen mit einem Stocke in der Hand. Anstatt des Buckels steckte man Kopfpolster unter den Kaftan. Die Gäste baten die Verkleideten, sich einen Spass zur Kurzweil zu erlauben, und diese folgten der Einladung mit Freuden. Die Ziege fing mit dem Bären an zu tanzen, die Lazarus’s sangen die Lieder aus der Vesper, die Kämpfer fielen über einander her und schlugen d’rauf los, soviel sie konnten oder wollten; alte Mütterchen bewachten die Erbsen im Küchengarten und fingen die Diebe. Zu den Dieben gehörte auch immer der jüngere Theil der Gäste, die „Erwählten“ beiden Geschlechts. Wenn diese Feinde hatten, so geschah es immer, dass sich letztere als alte Weiber verkleideten, und ihnen dann alle ihre Fehler in Form einer Conduiten-Liste, wie sie den Dienstboten mitgegeben wird, vorhielten. Niemand durfte es wagen, solche Vorwürfe übel zu nehmen, sobald man ihn dabei nur nicht mit seinem Namen nannte. Wurden aber die Verkleideten unbescheiden, so entfernte man sie auf der Stelle. Nicht selten geschah es auch, dass unter den Masken ganz nahe Verwandte des gastlichen Hauses sich verbargen; wenn diese erkannt wurden, so wechselten sie allsogleich ihren Anzug. Der Hausherr war verbunden, die Verkleideten mit Getränken zu bewirthen. Gäste, die nichts annahmen, wurden für vornehm gehalten und man begleitete sie beim Weggehen mit hoher Achtung bis in den Hof hinaus. Wenn sie nichts als ein Paar Tropfen Liqueur kosteten, dann war die Dienerschaft des Hauses verpflichtet, sie bei ihrer Entfernung einige Augenblicke zu schaukeln: so brachte es die Sitte mit sich.

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/124&oldid=- (Version vom 29.9.2019)