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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Szeberschzyn und Tomaschow, wo sie im Monat Tischri 1649 zu Tausenden hingeschlachtet wurden. Aus den Synagogen nämlich wurden die Gesetzrollen geholt, aus ihnen grosse Teppiche gemacht, auf welchen dann die Juden Truppweise hingeschlachtet wurden; in das grosse Quellbad der Juden wurden funfzehnhundert Kinder lebendig hineingeworfen und fast noch lebendig mit Erde überschüttet. In der Stadt Wladoi geschah ein Gleiches; die Stimme der Klage und die Schauertöne des Jammers wurden weithin vernommen; in den grossen Judengemeinden zu Brześć Litewski und Pinsk, so wie in den zahlreichen jüdischen Gemeinden der ganzen Provinz, gab es kaum eine, die nicht hart betroffen worden wäre. Die Anzahl der gemordeten Juden in den zwei Jahren 1648—49 beträgt über 100,000, und dabei sind nur diejenigen mitgerechnet, deren Tod durch die Kosaken man mit Bestimmtheit erfahren hat; denn die Uebrigen, welche durch grenzenlose Leiden auf der Flucht oder in der Fremde gestorben, konnten kaum gezählt werden; in den weit entfernten Gemeinden gab es kaum ein Haus, worin nicht ein unglücklicher Emigrant gestorben; kaum war man im Stande, Särge und Leichenkleider für so viele Märtyrer zu besorgen. Alle Fluchorakel, acht und neunzig an Zahl, die im Gesetzbuche gegen die Uebertreter der göttlichen Gebote ausgesprochen wurden, sind an den Juden der Ukraine, Wolyniens, Podoliens, Lithauens u. s. w. in Erfüllung gegangen, ja noch so manches harte Strafgericht, das nicht verheissen war. In der gallizischen Stadt Lemberg, die doch ausserhalb des Bereiches dieser Begebenheiten lag, ereilte die Juden ein trauriges Geschick; sie wurde um jene Zeit hart bedrängt und belagert, die Häuser in der Umgebung der Veste wurden zerstört, und durch pestartige Krankheiten und durch Hungersnoth starben Tausende von Juden. Unter den Verstorbenen waren die berühmtesten Männer Israels, die durch ihre Gelehrsamkeit berühmt, grossen jüdischen Akademien vorstanden; von solcher Art war der gelehrte Rabbi Joschim, Rabbiner in Krakau, ausgezeichnet durch seinen Scharfsinn in der jüdischen Theologie und als Autorität ein Vater Israels; der berühmte Rabbi Naftali, Rabbiner in Lublin, der unerschöpfliche im jüdisch-theologischen Wissen; der gelehrle, jugendliche Rabbi Salomo, Rabbiner in Stanow, Sohn des berühmten Natan Schapira. Dergleichen hochgelehrte und berühmte Männer waren viele, die ich kaum aufzuzeichnen vermag. Der Rest der Juden, der sich vor der blutdürstigen Kosakenhorde geflüchtet, blieb in schrecklicher Armuth und Dürftigkeit zurück; die sonst so reichen, im höchsten Wohlstande erzogenen Glaubensbrüder sahe ich in Jammer und Elend auswandern und bettelnd in die weite Ferne ziehen, in Lumpen gehüllt und abgehärmt und hungernd die Hand nach Brod ausstreckend. Sie wandern ihre Füsse wund und richten ihre Blicke nach allen Gegenden, wo Brüder wohnen, um durch das Mitgefühl der Glaubensgenossen Hülfe und Milderung der Leiden zu erwarten; denn Israel, der Glaubenswächter, übet Milde und ist wohlthätig; Israel ist mildsinnig, von mildsinnigen Ahnen herstammend. Ich sahe sie gebeugt und zerknirscht in innbrünstigem Gebet vor Gott, die Brust schlagend und Erbarmen erflehend. — Das ist die traurige Kunde, die mich veranlasst, für mich und meine Zeitgenossen, für unsere Kinder und Kindeskinder, einen strengen Fasttag, einen Tag der Trauer und der Klage festzusetzen; dieser Fasttag sei am 20. Siwân, an welchem Tage zuerst die Gesetzrollen vernichtet wurden, an welchem doch einst das Gesetz uns gegeben worden war. An diesem Tage haben die Verfolgungen begonnen und an diesem Tage war es auch, an welchem die Verfolgungen des Jahres 1171 begonnen; er wird nie mit einem Sabbat zusammenfallen. Ich habe Busslieder und Klagegesänge für diesen unsern Trauertag verfasst, die Jahr für Jahr an diesem Tage in den jüdischen Gemeinden gesungen werden mögen. Ihr Frommen, die ihr von Gottesfurcht durchdrungen seid, die ihr euch Israeliten nennet, schenket dieser traurigen Kunde euer Augenmerk und bestimmt für dieselbe diesen Tag der Trauer, damit sich Gott unserer annehmen möge; denn noch, während ich dieses niederschreibe, ist die Hand des Drängers ausgestreckt; noch streifen Kosakenpulks umher, wohlgerüstet und trefflich bewaffnet, zum Kriege wie zur Vernichtung der Juden wohl bereit. Mit den

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/120&oldid=- (Version vom 28.9.2019)