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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

wird, müssen wir doch annehmen, dass sie in der That in dem Kopfe einiger Slawenfeinde gespuckt hat und noch spuckt. Es hiesse wahrhaftig leeres Stroh dreschen, wollten wir die Unausführbarkeit und somit die Lächerlichkeit einer solchen Idee des weitern auseinander zu setzen uns bemühen. Wie könnten die Slawenfreunde bei der so strengen und argwöhnischen Ueberwachung jeglicher geistigen Bewegung, sie mag sich öffentlich oder privatim äussern, nur irgend wie hoffen, dass irgend ein derartiges Zusammentreten Mehrerer auch nur eine kurze Zeit geheim bliebe. Wie viele, weit unbedeutendere, nur wenigen Vertrauten bekannte Dinge sind in dem letztverflossenen Decennium entdeckt worden, wo jedes Verrathenwerden eine Unmöglichkeit schien! Hat sich ja doch noch vor Kurzem eine sonst recht umsichtige Regierung, verleitet durch falsche, verläumderische Berichterstatter, die Blösse gegeben, in dem Zusammenleben einiger jugendlichen Gemüther eine politische Verbindung zu suchen! Nein, eine jeune Slavie würde noch viel weniger zum Ziele führen, als ihre älteren Schwestern es vermocht haben. Mit Recht sagt daher der Graf Leo Thun (in s. Broschure: Ueber den gegenwärtigen Zustand der böhmischen Literatur und ihre Bedeutung, in welcher dieser Gegenstand mit kräftiger Würde besprochen wird): „Uns scheint eben diese gefürchtete slawische Universalmonarchie nichts mehr als ein Gespenst. – – Auch die von einander am meisten entfernten Slawenstämme, z. B. die Böhmen und die Russen, sind sich noch nahe genug, um ihre Verwandtschaft innig zu fühlen. Gleichwohl stellen die am nächsten verwandten Slawenstämme, z. B. die Russen und Serben, lange nicht so sehr ein Volk dar, wie die nahe Verwandten unter den Germanen, z. B. die Schwaben, Franken und Sachsen; vielmehr sind sie eben so, wie ihre Sprachen, durch vorgeschichtliche Schicksale zu weit von einander geschieden, als dass sich ihre Eigenthümlichkeiten je wieder verlieren könnten. Nicht nur zwischen den russischen und illyrisch-serbischen Völkern eines, und den polnischen und böhmisch-slowakischen Völkern anderen Theiles, sondern sogar zwischen diesen einzelnen Stämmen ist eine Verschmelzung für alle Zukunft undenkbar. Auch ungebildete Russen und Böhmen können sich zwar über die dringendsten Bedürfnisse des Lebens so ziemlich verständigen: dagegen wird den gebildetsten Böhmen die Kenntniss seiner Sprache, wenn er sie nicht mit philologischer Gelehrsamkeit ergründet hat, nicht in den Stand setzen, nur ein polnisches Buch zu verstehen. Aus diesem eigenthümlichen Verhältnisse ergibt sich zweierlei: vorerst die Möglichkeit und die Natur des gemeinschaftlichen slawischen Strebens, sodann aber auch die Gränze, welche diese Tendenz nach Vereinigung nicht überschreiten kann. Es gibt ein Interesse, das allen slawischen Völkern gemein ist, und um dessenwillen sie gegenseitiger Unterstützung bedürfen: die Erhaltung der slawischen Nationalität gegenüber anderen Volkscharakteren. Da nun diese mit der kräftigen Entwicklung der Sprache und Literatur in der innigsten Wechselwirkung steht, so sind auch die mächtigsten Mittel, die Nationalität zu bewahren, diejenigen, welche zur allseitigen Entwicklung der Sprache, ohne ihrer Reinheit Eintrag zu thun, beitragen, und die Literatur beleben. Hierzu nun ist ein wechselseitiger, literärischer Verkehr unter den slawischen Völkern, nämlich das Bestreben eines jeden, sich in steter Kenntniss der literärischen Leistungen und Bedürfnisse aller übrigen zu erhalten, vorzüglich geeignet. Er fördert in jedem Stamme ein gründliches Studium der eigenen Sprache, leitet jene Stämme, deren Sprache in einzelnen Gebieten vernachlässigt worden ist, auf den natürlichsten Weg zur Erweiterung ihrer Sprachformen, leistet allen in höherem Grade die Dienste, welche eine Schriftsprache von Volksdialekten zu erwarten hat, bereichert jede slawische Literatur mit Uebersetzungen, die fast Originalien gleichen, mehrt die Zahl der Männer, welche die geistigen Interessen der slawischen Völker zum Gegenstande ihres Nachdenkens und ihrer Pflege machen, und vergrössert das Publicum, auf welches diese einwirken. Allein die literärischen Producte eines slawischen Volkes müssen immer übersetzt werden, um auch das Gemeingut eines andern zu werden, und so lange sie nicht übersetzt sind, können sie nur denjenigen, welche mehrere Sprachen zum Gegenstande ihres Studiums

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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/105&oldid=- (Version vom 23.6.2019)