er in der Nacht oft heraus mußte. Und als er vor Tagesanbruch noch einmal den Gang machte, standen die beiden Pferde vor der Thüre; denn sie waren den Dieben entlaufen und hatten den Weg nach Hause allein gefunden. Als der Bauer sie sah, schlug er einen gewaltigen Lärm, daß der Edelmann aus dem Bette sprang, das Fenster aufriß und in der Schlafmütze heraus sah.
„Was ist Euch denn?“ rief er verwundert.
„Hier sind die Pferde!“ erwiderte der Bauer. „Ich bin oft vergeblich draußen gewesen, aber kommen mußten sie, das stand fest. Sie sind spät gekommen, denn der Weg war weit.“
Der Edelmann fiel vor Erstaunen fast auf den Rücken und hielt den Bauer hoch in Ehren, als einen Wunderdoktor, und gab ihm hundert Thaler aus der Kiste, weil er seine Sache so gut gemacht hatte.
Das Gerücht von dem Bauern erscholl nun im ganzen Lande, und auch der König hörte davon. Der konnte aber gerade einen Wunderdoktor gebrauchen, denn seine Frau lag schwer krank darnieder. Sie sollte ihm einen Leibeserben schenken, der nach seinem Tode im Lande die Krone trüge; aber ihre Stunde wollte und wollte nicht kommen, und die Ärzte verzweifelten an ihrem Leben. Er sandte darum einen Boten aus, der mußte den Bauer zu ihm bringen.
Als derselbe vor ihm stand, fragte er ihn: „Wer bist du?“
„Ich bin der Doktor, der Allwissende“, antwortete der Bauer, „ich kann alle Krankheiten heilen, und nichts ist mir verborgen.“
Ulrich Jahn: Schwänke und Schnurren aus Bauern Mund. Mayer & Müller, Berlin 1890, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Schwaenke_und_Schnurren_aus_Bauernmund.djvu/71&oldid=- (Version vom 1.8.2018)