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zu gerne einstellt: bei den Tagelöhnern an den langen Winterabenden, bei den Matrosen an Bord, bei großen Erdarbeiten zur Regenzeit in den kunstlos aufgeschlagenen Hütten und bei den fahrenden Handwerksburschen und Landstreichern endlich in der Herberge. Die Verehrung für den Märchenerzähler geht in freilich seltenen Fällen hier und da soweit, daß er von der Kunst zu leben vermag. Nicht nur, daß er in dein Hause, wo er erzählt, frei Essen und Trinken erhält, die Leute beschenken ihn obendrein mit Lebensmitteln und andern Gaben, daß er der Sorge um das tägliche Brod enthoben wird.

Wie weiß er aber auch seine Märchen vorzutragen! Die Rede fließt aus seinem Munde, die Augen leuchten ihm und er reißt seine Hörer mit sich fort, daß sie samt und sonders den innigsten Antheil nehmen an den Helden seiner Erzählungen. Die Spannung der Gemüther ist auf das höchste gestiegen, der wackere Held, welcher unerkannt seinen König in der Schlacht geholfen hat, ist verwundet worden. Der König springt vom Roß, reißt das seidene Tuch vom Halse und verbindet ihm die Wunden; dann zieht er die goldene Schnupftabacksdose hervor nimmt daraus, reicht dem Helden daß er auch nehme, und verehrt sie ihm sodann zum Geschenk. Der schöne Zug gefällt den Zuhörern und sie äußern sich beifällig; aber der Märchenerzähler hat etwas auf dem Herzen, er wiederholt dieselbe Stelle zum zweiten und zum dritten Male, endlich ruft er laut: „Ja, der alte König gab ihm zu schnupfen aus seiner goldenen Dose, und dann schenkte er sie ihm! Ich will ja gar keine goldene Dose haben, aber einen Sauren könnte mir doch jemand geben, sonst erzähle ich nicht weiter.“ Und das sehen die Zuhörer ein, das Märchen wird an der spannendsten Stelle unterbrochen und nicht eher wieder aufgenommen, als bis die Schnupftabaksdose im Kreise herumgewandert ist und auch der letzte geschnupft hat.

Auch Trinkunterbrechungen finden statt und werden ganz ähnlich von dem Märchenerzähler angebracht, wie uns das von den Spielleuten des Mittelalters berichtet wird, wenn

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Ulrich Jahn: Das Volksmärchen in Pommern. Hessenland, Stettin 1887, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Das_Volksmaerchen_in_Pommern.djvu/7&oldid=- (Version vom 1.8.2018)