Lesen gegeben worden. Die bekannte Geschichte von Aladin mit der Wunderlampe sagte ihr am meisten zu, sie las sie solange, bis sie dieselbe auswendig konnte, und gab sie dann gelegentlich eines Besuches in ihrem Heimathsdorf zum Besten. Ein Märchenerzähler lernte es von ihr und erzählte es dann, nachdem ungefähr ein Menschenalter über dem Lernen vergangen war, vor Jahresfrist wieder, vor allen andern Märchen, die er sonst im Gedächtniß hatte, weil es aus einem gedruckten Buche stamme und darum schöner sei, wie alle andern Historjen, die er sonst wisse. Zug um Zug stimmte mit dem Originale, nur war dem guten Manne, er wußte wohl selbst nicht wie und warum, aus dem schmutzigen Aladin der rothhaarige, ohne Gottesfurcht aufgewachsene Dummhanns geworden, der noch nicht lesen und schreiben und nicht einmal das Vaterunser beten konnte. Den Garten, welchen die orientalische Phantasie mit Obstbäumen bestanden schildert, welche Perlen und Edelgestein statt der Früchte tragen, machte er zu dem volksthümlichen Fehnusgarten; das Rockei jedoch, das Ei des Vogels Rock, welches in dem Originale eine so große Rolle spielt und welches Aladin auf den Rath des Zauberers vom Geiste der Lampe als Kuppelschluß in seinem Schlosse einfügen lassen soll, behielt er bei. Es schien ihm zu wichtig für die Erzählung als daß er daran zu tasten wagte, und so erzählte er denn, der rothhaarige Dummhans habe zu guter letzt von dem Geiste gefordert, er solle ihm den König Reckei bringen und ihn am Schwibbogen aufhängen. Als ich ihm erklärte, was das heißen solle, einen solchen Namen gäbe es ja garnicht, antwortete er gelassen: „Wie wollen Sie ihn denn genannt wissen? Sie sind ja klüger wie ich, geben Sie ihm doch einen Namen, der besser klingt. König Reckei heißt er, und so werde ich ihn nennen mein Lebenlang.“
In noch höherem Maße, wie bei diesem jungen Eindringling aus dem fernen Orient ist natürlich in den altheimischen Märchen das Gewand ein echt pommersches. Dieselben Vorstellungen kehren wieder, wie in den Sagen, und
Ulrich Jahn: Das Volksmärchen in Pommern. Hessenland, Stettin 1887, Seite 135. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Das_Volksmaerchen_in_Pommern.djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)