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Mit zornbebender Stimme sprach Karoline weiter: Die Meinung der Briten, daß ihr Blut und die Tränen ihrer Lieben kostbarer seien, als die anderer Völker, hat dahin geführt, daß einzig England Söldnerheere beibehielt und, wie ihr wißt, im gegenwärtigen Kriege gelbe und schwarze Horden als besoldete Mörder gegen unser deutsches Volksheer ins Feld führt. Setzt in der folgenden Rede Johannas ,Deutschland’ anstatt ,Frankreich’, und die Worte passen fast ganz genau auf den Krieg, den Englands Ruchlosigkeit heute über die Welt verhängt hat.“ Sie las mit lodernder Stimme Johannas Rede bis zu den Worten:

                                                                      „Der Tag
Der Rache ist gekommen; nicht lebendig mehr
Zurücke messen werdet ihr das heilige Meer,
Das Gott zur Länderscheide zwischen euch und uns
Gesetzt, und das ihr frevelnd überschritten habt.“




Im Konferenzzimmer war inzwischen der Direktor des Lyzeums damit beschäftigt, die eingelaufenen Briefe zu durchlesen. Plötzlich sprang er auf, als hätte ein elektrischer Schlag ihn getroffen, denn jede Erregung weckte in dem schneidigen Herrn das Bedürfnis, durch das Zimmer zu laufen und halblaut zu sprechen. „Donnerwetter!“ rief er, „das ist ja Revolution. Die Selekta beschwert sich darüber, daß sie während des Krieges mit Frankreich die Jungfrau von Orleans lesen soll!“ Schon wollte er wütend nach der Selekta stürmen und ein Donnerwetter über die aufrührerischen Herzen entladen, doch er zögerte: „Die Mädchen haben vielleicht nicht ganz unrecht. Wer weiß, wie Fräulein von Gora die ,Jungfrau’ in die Länge zieht. Ha, wenn ich selbst den Unterricht gäbe, ich würde die Jungfrau mit Feuer behandeln.“ Er mußte lächeln über den sonderbaren Sinn, den die ihm geläufigen Ausdrücke in Verbindung mit dem Wort Jungfrau ergaben: eine langgezogene, mit Feuer behandelte Jungfrau; doch die Sache war ernst, sein Gesicht legte sich in gestrenge Amtsfalten, er sah den Geist der Empörung in einem leichten

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 92. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/94&oldid=- (Version vom 1.8.2018)