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Nun Adje, Karolinchen, wisch ab dein Gesicht!
Eine jede Kugel, die trifft ja nicht.
Denn träf jede Kugel apart ihren Mann,
Woher kriegte der König die Soldaten dann?

Daß er einer ehrlichen Kugel zum Opfer fallen könne, darauf hatte sie sich gefaßt gemacht, aber daß ein halbwilder Inder ein so hoffnungsreiches, von der Sternenglut aller Ideale durchglühtes Leben meuchelmörderisch auslöschte, wie durfte das geschehen? Ihr ganzer Körper bebte, sie wollte aufschreien in unerträglichem Leid, wollte jählings fliehen, doch dann kettete sie das Gefühl, in der Schule zu sein, einige Dutzend Mädchenaugen auf sich gerichtet zu wissen, die ja ihren Schmerz nicht kannten, Sie klammerte sich mit ihren Fäusten an ihren Sitz, drückte die Brust gegen das Pult, und indem sie die Augen gespannt auf einen Tupf der Zimmerdecke haftete, suchte sie das Entsetzliche zu zergliedern, mit ruhiger Vernunft zu durchdringen. Was haben wir denn mit Indern zu tun? Wie kommen schleichende Panter in den Krieg mit Deutschland? Es sind die von England gedungenen Krieger; nicht die Panter, nein, England ist unser Feind. Und Fräulein Karoline, die ihr Leben lang nichts als Liebe und Güte gewesen, dachte mit grenzenlosem Haß das eine Wort: England. Fast erschrak sie vor sich selbst. „Liebet eure Feinde“, mahnte sie sich selbst; aber nein! Verbrecher müssen wir hassen, und England kämpft mit Mitteln, die verbrecherisch sind. —

Der sechste, siebente, achte Auftritt der „Jungfrau“ waren mit schülerhaftem Ausdruck heruntergeleiert worden, eine neue Person, der Ritter mit geschlossenem Visier, trat auf, deshalb hatten die Mädchen das Lesen eingestellt, und aus allen Ecken der Klasse rieselte, schwoll der gewohnte Lärm hervor. Karoline fühlte ihre Pflicht, zu unterrichten; den „Schiller“ in der Hand, verließ sie ihr Pult und stellte mit trockener, harter Stimme die gewohnten Fragen, die ihr selbst als jungem Mädchen hier schon gestellt worden waren: „Wer war Montgomery?“ Antwort: „Ein

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/92&oldid=- (Version vom 1.8.2018)