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sie sich in ihrem Schlafzimmer mit dem müßig harrenden Bett durch eine Waschung erfrischt und die Fülle ihrer hellblonden Seidenhaare wieder sorgfältig unter der weißen Stirnbinde zurückgestrichen hatte, schimmerte ihr hübsches, zartes Gesicht wie ein Rosenblatt, und aus ihren blauen, klaren und doch so tiefen Augen funkelte Menschenliebe, wie die Sonne aus Tautropfen. Doch auch ihre Seele pflegte sie jeden Morgen in die richtige Verfassung zu bringen. „Stimmung!“ rief sie sich selbst zu. „Alles, was an Frohmut in mir ist, heraus an die Oberfläche! Licht soll aus mir in das trübe Leben der Kranken dringen!“ Mit diesen Vorsätzen ging sie die Treppe hinunter nach Zimmer 7. Hier lagen nur solche Kranke, bei denen die Lebensgefahr geschwunden war. „Nun, geht es euch allen gut?“ rief sie mit ihrer hellen Stimme ins Zimmer hinein, und frohe Antwort schallte ihr aus den zwanzig Betten entgegen. Dann öffnete sie die Jalousien, das Morgenlicht flutete herein wie ein Bergstrom, und sie begann ihre Arbeit. Es waren niedrige Verrichtungen, aber in ihren feinen Händen lebte die Liebe und adelte den unfeinen Dienst. Wie artige Kinder behandelte sie ihre Kranken, obwohl die meisten älter als ihre dreiundzwanzig Jahre waren. „Unteroffizier Hagemann“, rief sie, „wollen Sie wohl die Arme unter die Decke strecken!“ „Herr Reuter, da liegen Sie nun wieder auf der Seite, und der Doktor will doch, daß Sie auf dem Rücken liegen.“ Auch erzählen konnte sie. Die Kriegserlebnisse ihres Vaters von 1870/71 wurden in dem französischen Grafenschloß durch ihren Mund wieder lebendig und mischten sich mit den Erzählungen der Verwundeten von ihren Taten und Strapazen zu einer Unterhaltung, bei der jeder mit doppeltem Behagen empfand, wie geborgen er hier in treuer Pflege war. Die Schwester leitete die Unterhaltung. Dem fast ergrauten Schulmann von der Artillerie, der fast immer strategische Auseinandersetzungen brachte, entzog sie das Wort, wenn er kein Ende fand. Dem bayrischen Landwehrmann mit dem kindlichen Gemüt, der jeden Satz mit einem fürchterlichen Fluch beschloß,

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 84. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/86&oldid=- (Version vom 1.8.2018)