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stolze Seele konnte nicht das Gefühl verwinden, daß alle Arbeit ihr nur aus Gunst übertragen wurde, daß sie ihren Erwerb anderen entzog, die nicht minder bedürftig waren, als sie, und ihr munterer Sinn war fast untergegangen in dem düsteren Gefühl, daß sie und ihre Arbeit in der überwogenden Menge überflüssig und entbehrlich seien.

War es jetzt anders? Als sie sich vor zwei Jahren bei den Schwestern des Roten Kreuzes melden wollte, hatte man sie dringend gewarnt: „Es ist ein zu schwerer Beruf!" Aber gerade in dem schweren Beruf war ihr Herz leichter und heller geworden. Dann kam der Krieg. Das Soldatenblut ihres Vaters wallte in ihr auf, alle Kräfte ihrer Seele vermählten sich in dem Bestreben, durch Pflege der verwundeten Krieger dem Vaterlande zu dienen, sie drängte sich aus innerstem Triebe zu immer neuen Pflichten, die niedrigsten Handreichungen der Pflege wurden ihr eine heilige Arbeit, sie frug nicht mehr, ob auch andere an ihrer statt diese verrichten könnten, ja, auch das rosige Amorettendasein ihrer Jugend schien ihr fade gegen die Süßigkeit dieser Opferlust im Dienste des Vaterlands und der Menschenliebe. So war sie von Deutschland nach Frankreich, nach dem „Totenschloß“ entsandt worden. Der Chefarzt hatte ob ihrer Jugend zunächst allerlei Unfreundliches in den Bart gebrummt, doch bei ihr stand der Entschluß fest: Hier wich sie nicht mehr, denn hier winkte ihr der köstlichste Lohn, unentbehrlich zu werden. Würde sie ihn erreichen?

Ihren Gedankengang unterbrach der Eintritt des Chefarztes und ihrer Ablösung. „Schwester Helene“, sagte der Arzt, nachdem sie Bericht erstattet, „ich darf es Ihnen nicht zumuten, aber ich muß. Der Wärter von Zimmer 7 ist erkrankt, und nur Sie können ihn vertreten. Wollen Sie auf Ihren Schlaf verzichten?“ „Mit Freuden“, rief Schwester Helene und machte sich auf den Weg. „Brauen Sie sich einen steifen Kaffee als Lebenselixier!“ rief der Arzt ihr nach. Schwester Helene lachte nur. Ihr Lebenselixier war doch der Gedanke, hier unentbehrlich zu werden. Nachdem

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 83. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/85&oldid=- (Version vom 1.8.2018)