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faden war der Schere der Parze vorläufig entrückt, mit ruhigen Atemzügen sank der Goliath unter den lateinischen Gebeten des Paters, mit dem Kopf noch auf dem Arm der Schwester ruhend, in einen sanften Schlummer, der vielleicht seine Rettung wurde, „S'ist ein schwerer Beruf hier, Schwester Helene!“ hatte ihr der Geistliche mit herzlichem Händedruck zum Abschied gesagt. „Aber heute schien Segen darauf zu ruhen, es ist ein erhabener Beruf“, war ihre Erwiderung.

Wie oft hatte sie dieses Wort vom schweren Beruf schon gehört! Noch dachte sie darüber nach, während die Morgensonne hell und golden durch die hohen Bogenfenster mit den feinen weißseidenen Gardinen lachte und die lieblichen Malereien der Zimmerdecke beleuchtete. Da waren Amoretten, die auf Rosenwölkchen schwebten und hinter Blumen Verstecken miteinander spielten; welch bunte Phantasie hatte sich hier durch Künstlerhand verewigt! Auch Schwester Helene hatte einst Malerei erlernt. Sie mußte lächeln: „Was lernte ich nicht alles in der Jugend!“ dachte sie. „Malen, Musizieren, fremde Sprachen, sogar stehend Reiten, und jetzt an dieser Jammerstätte! ... Früher glich ich jenen Amoretten und habe wie sie viel Lust und Freude gesehen; jetzt sehen wir nichts als Jammer. Doch ich kann mich nützlich machen, indem ich Jammer lindere“, sprach sie tröstend zu sich selbst. Vor ihrer träumenden Seele schwebte in flüchtigen Bildern ihr Leben vorüber: Ihr Kinderland mit dem schimmernden Elternhaus als Mittelpunkt, das Frühlingsgefild ihrer Mädchenjahre, ihr Eintritt ins Leben durch die goldenen Pforten feiner Gesellschaft als lachende Prinzessin an der Hand ihres Vaters, des glänzenden Offiziers, dann kam ein ihr Dasein umwälzender Schicksalsschlag, — ihr fröstelte, — ihr Vater verlor durch einen Jagdunfall jäh das Leben, ihr Mütterchen folgte ihm bald, und dann kam für sie ein Dornenweg. Sie hatte sich nützlich machen wollen, ihre Kenntnisse verwerten durch Kindererziehung und Musikunterricht. Ernsthaft war sie bemüht gewesen, doch ihre

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/84&oldid=- (Version vom 1.8.2018)