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Unentbehrlich


Der grausame Wirbelsturm Krieg hatte das üppige Ahnenschloß des französischen Grafen Lapierre in ein Lazarett umgewandelt. Vor den vergoldeten Eingangsgittern standen feldgraue Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten, und die langen Gänge mit getäfelten Wänden durcheilten Ärzte, Johanniter, Krankenwärter. Fast ausschließlich Schwerverwundete lagen in dem Schloß, und es verdiente redlich den ihm von den Soldaten beigelegten Namen „Totenschloß", denn fast täglich bewegte sich beim dumpfen Schall der Trommel ein kleiner Leichenzug hinaus, und das gemeinsame Kriegergrab wölbte sich immer länger.

In einem der Krankenzimmer war eine hohe, schlanke, noch jugendliche Frauengestalt, vom schwarzen Schwesternkleid umflossen, fast erschöpft in einem der Sessel mit vergoldeter Grafenkrone niedergesunken. Schrecklich war die Nachtwache gewesen, die hinter der Krankenschwester lag. Ein schlesischer Landwehrmann, eine Art Goliath, hatte stundenlang gefiebert. Mit Kompressen und kühlender Arznei war die Schwester die ganze Nacht bei ihm tätig gewesen, und als der langbärtige Krieger tobend nach seiner Frau schrie, als er aus dem Bett springen, als seine arme, fiebernde Hand den Verband fortreißen wollte, hatte sie diese in ihre Hände genommen und wohl eine Stunde lang ihn durch liebevolle Worte zu beruhigen gesucht. Danach war sie den Feldpater holen gegangen, der dem Mann die Sakramente gab, und dann drückte, — o Wunder! — anstatt des erwarteten Todesengels sein holder Bruder Schlaf dem müden Kämpfer die Augen zu, sein dünner Lebensfaden

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/83&oldid=- (Version vom 1.8.2018)