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wie würde man wieder über die Barbaren zetern; Vater selbst würde dann wohl nicht mehr glauben, daß das Wort daher komme, weil die Soldaten im Feld ihre Bärte wachsen lassen. Da — es klopft an die Türe. Auf ihr „Herein!“ steht ein feldgrauer Soldat in schlanker Kraft mit mächtigem schwarzem Bart vor ihr, streckt ihr mit warmem Gruß beide Hände entgegen: Ernst Zeisig, zweifelsohne, aber wie verändert, welch ein Bart! Unwillkürlich ruft sie: „Ernst, du Barbar!“ „Nanu?“ staunt dieser. „Entschuldigen Sie, Herr Zeisig“, lacht sie, „aber Ihr Bart!“ „Ach so“, entgegnete dieser gemütlich, „ich bin erst vor einer Stunde angekommen, dein Vater schickt mich zu dir, morgen wird der Bart abgemacht.“ „Meinetwegen nicht!“ sprach Regina stolz, und indem sie sich des Vorsatzes erinnerte, es Ernst Zeisig nicht allzu leicht zu machen, sein „Krümchen“ zu picken, warf sie den Kopf in den Nacken. „Was geht denn mich Ihr Bart an?“ „Eigentlich sehr viel, Regina“, versetzte er mit herzlichem Ton, „denn mein sehnlichster Wunsch ist, dich um die Zusage zu bitten, nach dem Kriege mein liebes Frauchen zu werden.“ Regina stieß einen leichten Schrei aus, wurde dunkelrot vor Verlegenheit, ihr Herz schrie: „Es ist dein sehnlichster Wunsch“; „du wirst dich zu seiner Erfüllung doch nicht kommandieren lassen“, grollte ihr Stolz; „der Zeisig kann dir doch nicht entschlüpfen“, schmeichelte der Verstand; laut sagte sie: „Sie scheinen sich mit dem Bart auch Barbarensitten zugelegt zu haben, Sie wollen wohl einen Raub der Sabinerin vorführen, damit kommen Sie bei mir nicht an.“ „Fräulein Krümchen“, begann er wieder mit leidenschaftlich bittendem Ton, „mir bleibt nicht lange Zeit zum Werben. Ich habe nur drei Tage Urlaub und diese durch eine Nachtpatrouille mit Lebensgefahr erworben, um zu Ihnen zu kommen. In so ernster Zeit wird einem alles Unwahre, Zweifelhafte, alles Komödienspiel verhaßt. Ich möchte Wahrheit geben und Wahrheit empfangen. Meine Liebe zu Ihnen, Regina, ist im Felde zu heller Glut erwacht, in jeder stillen Stunde umkreisten Sie meine Gedanken, und

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 101. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/103&oldid=- (Version vom 1.8.2018)