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nur durch die Eltern ließ er sie grüßen, aber ihr war es ein Bedürfnis gewesen, ihm wöchentlich eine Schachtel Zigarren von ihrem Taschengeld zu senden. Freilich, als Absender nannte sie sich nicht selbst, er sollte doch nicht auf den Gedanken kommen, daß ihr etwas an ihm läge. Als Absender schrieb sie den Namen A. Trutz und fand diesen sehr passend, denn den Trutz in ihr sollte er noch kennen lernen, wenn er einst um sie werben kam. Ihr Taschengeld opferte sie gern für diese Liebesgaben, andererseits fand sie nichts Böses darin, daß sie sich auch einmal dafür entschädigte; so hatte sie bei einem gelegentlichen Besuch im Nachbarhaus eine Photographie von ihm, die wie überflüssig lose im Album lag, mitgehen heißen und hielt sie in dem dicksten ihrer Bücher, einem Grundriß der Kunstgeschichte, verborgen. Wenn der Gedanke an Ernst sie erfüllte, und das geschah immer öfter, seitdem er im Felde war, wenn dann ein unbeschreiblicher Zauber ihre Brust dehnte, als ob sie in einem Frühlingswalde wandle, den der Jubel unzähliger Nachtigallen erfüllte, dann nahm sie das dicke Buch vom Gestell, drückte das Bildchen an ihre Brust und hauchte einen Kuß auf das geliebte Knabengesicht. Regina hatte heut ihre Tagesarbeit vollbracht und saß im schlichten Hauskleid, die Zeitung lesend, am Fenster ihres gemütlichen Stübchens, wo heller Sonnenschein ihr goldblondes Haar umspielte. Blutige Kämpfe hatten wieder stattgefunden um Reims. „Die Kathedrale steht immer noch trotz aller Schreierei“, war in dem Bericht nebenbei erwähnt, „nur der eine Turm hat eine Ecke verloren, und der Dachstuhl ist ausgebrannt.“ Regina schloß die Augen. Wie brutal ist doch solcher Krieg, welch ein Jammer, daß Jahrhunderte alte Kunstbauten dem Vernichtungsamt der Kanonen preisgegeben werden! Wie alt mochte wohl die Kathedrale sein? Es stand in ihrer Kunstgeschichte, sie wollte doch dem Vater mit ihrer Kenntnis aufwarten. Schnell nahm sie das dicke Buch vom Gestell; richtig, da ist auch eine Abbildung der Kathedrale; oh, diese wunderbare Fassade! wenn das in Trümmer ginge,

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Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/102&oldid=- (Version vom 1.8.2018)