Seite:JüchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/100

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Der Barbar


„Wir können am Lauf der Dinge nichts ändern, also denken wir an uns und unseres Leibes Nahrung!“ sagte der alte Rentner Krümchen, nachdem beim Mittagessen, wie täglich, die strategische Lage im Kreise der kleinen Familie besprochen, und das Hauptgericht, Schinken mit Erbsen, aufgetragen war. „Nur eins finde ich ungeheuerlich“, bemerkte seine neunzehnjährige liebliche Tochter Regina, „daß die Feinde unsere Soldaten als Barbaren verschreien. Das müßte das Haager Weltgericht verbieten.“ „I wo“, entgegnete der Vater mit behaglichem Schmunzeln, das dem saftigen Schinken galt, „das verstehst du falsch, und die ganze deutsche Presse befindet sich in grober Unkenntnis betreffs der Bedeutung des Wortes Barbaren. Mir hat Doktor Michelin erläutert, daß es in Frankreich gar nicht die Bedeutung hat, die wir ihm beilegen, sondern einfach Männer mit Vollbart bezeichnet. Das Wort kommt von La barbe, lateinisch: barba, und da die Franzosen selten Vollbart tragen, ist es sehr verständlich, wenn die französische Hausfrau den deutschen Soldaten mit struppigem Kriegerbart im Quartier mit den Worten empfängt: Guten Tag, Herr Barbar!“ „So gemütlich wird es wohl nicht hergehen“, lachte der sechzehnjährige Sohn Erich, „ich glaub' das nicht.“ „Du willst doch nicht klüger sein“, beharrte der Vater, „als Doktor Michelin, der fünf Jahre in Paris gewohnt hat als Sprachforscher.“ „Oder vielmehr als Buchmacher“, warf Regina ein. „Aber Regina!“ mahnte die Mutter. Sie fürchtete jede Auseinandersetzung zwischen Vater und Tochter, denn diese war ein Hartkopf, und Erörterungen mit ihr durchpeitschten den heiteren

Empfohlene Zitierweise:
Aurel von Jüchen: Frauenleben im Weltkriege. Xenien-Verlag, Leipzig 1915, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:J%C3%BCchenFrauenlebenImWeltkriege.pdf/100&oldid=- (Version vom 1.8.2018)