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Illustrirte Zeitung, Nr. 4 vom 22. Juli 1843

für die Pariser, wie es die Bahnen nach Saint-Germain und Versailles sind, die man befährt, um sich zu erfrischen an der Natur außer den Mauern von Paris, sondern sie ist das erste Glied in der großen Eisenbahnkette, die den Norden Frankreichs mit seinem Süden, Bordeaux und Nantes mit Havre und Belgien verbinden soll. Hierin liegt ihre Bedeutung.

Durchfahrt unter der Straße nach Cour de France

Der Bahnhof, den wir betreten, ist hoch und geräumig, er ist bereits auf sehr großen Verkehr eingerichtet. Niemand braucht zu drängen, oder steht dem Andern im Wege.

Das Bahngebäude ist in einem edlen, einfachen Geschmack aufgeführt und die äußere Architectur erscheint übereinstimmend mit dem Zwecke des Innern. Vorzügliche Rücksicht ist auf Geräumlichkeit zu ebener Erde genommen, man sieht daher von außen nur weite Arcaden mit hohen Bogenfenstern; den Eingang bildet ein Vorgebäude, das sich über der Anfahrt wölbt und den großen Hof begrenzt. Jenes Vorgebäude dient namentlich zum Ab- und Aufladen von Päckereien.

Der Bahnhof ist länger als 300 Meter oder 900 rheinische Fuß und auf seiner ganzen Länge durch eine bewunderswürdig leichte Bedachung mit Oberlicht versehen. Die dazu gehörigen Räume erstrecken sich bis zum Boulevard de l’Hôpital, wo wir die für die Verwaltung bestimmten Wohnungen erblicken. Die beiden Seiten öffnen sich gegen Straßen – auf der einen vom Quai d’Austerlitz kommen wir herzu – die andere ist ausdrücklich dazu bestimmt, Gepäck und Reisende nach Paris zu führen.

Wir treten ein in das Gebäude und werfen einen Blick auf diese kühne Bedachung über 500 Ellen Länge! Scheint es Euch nicht auf Augenblicke – und, lieben Leser! Ihr müßt Eure Phantasie doppelt so stark anspannen, da Ihr eigentlich Nichts seht, nicht einmal auf unserem Holzschnitte – als wenn das Dachgerüst das Gerippe eines vorsündfluthlichen Unthiers, vielleicht eines Megatherions, sei, unter dem wir uns befinden? Das Licht strömt aus hunderten von Fenstern herein, magisch wird aber die Beleuchtung sein, wenn wir von Orléans zurückkommen und die düstern Spalten des Sparrwerks mit den Strahlen der Gasflammen spielen. Vier Bahngleise, zu beiden Seiten mit Erhöhungen zum Auf- und Absteigen, nehmen die Bahnwagen bei der Abfahrt und der Ankunft auf und verzweigen sich im Hofe in andere Geleise nach den verschiedenen Wagenschuppen, Werkstätten und Nebengebäuden.

Wir haben noch Zeit bis zur nächsten Abfahrt und wollen daher einen Blick auf die Geschichte dieser Eisenbahn werfen, die während ihres Entstehens mit manchen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.

Im Jahre 1838 wurde einer Gesellschaft die Concession zur Erbauung einer Eisenbahn von Paris nach Orléans, mit Zweigbahnen nach Corbeil, Pithiviers und Arpajou, ertheilt, das Maximum der Steigungen auf 3 Millimeter per Meter und der kleinste Krümmungshalbmesser auf 1000 Meter festgesetzt. Die Gesellschaft, auf ein Actiencapital von 40 Millionen Franken begründet, legte sofort Hand ans Werk und beauftragte den Ingenieur Julien mit der Ausführung, der sich derselben auch mit solchem Eifer unterzog, daß schon nach 18 Monaten die Zweigfahrt über Choisy Petit Bourg nach Corbeil befahren werden konnte. Während dieser Zeit war die Hauptlinie genau untersucht worden und hatten sich die ernstesten Bedenken wider die Zweigbahnen nach Arpajou und Pithiviers, deren mögliche Einträglichkeit mit dem für sie aufzuwendenden Bau- und Betriebscapital außer Verhältniß zu stehen schien, erhoben. Während dieser Zeit war auch die Aufregung für Actienunternehmungen sehr herabgestimmt, so daß die Gesellschaft sich genöthigt sah, die Regierung um ihre Dazwischenkunft, in Bezug auf den Geldpunkt, anzugehen.

Dieselbe gewährte auch einige Erleichterungen in den Steigungs- und Krümmungsbedingungen, und begab sich einiger anderer Rechte; doch schlug dieses nicht durch.

Den 15. Juli 1840 jedoch schritt die Regierung zu andern Maßregeln. Sie versprach der Gesellschaft auf das einzuschießende Vermögen von 40 Millionen Franken eine Rente von 4 % während 46 Jahren und 324 Tagen, wogegen die Gesellschaft ihr Capital mit 1 % jährlich tilgen sollte. Natürlich fehlte es nun nicht an Einzahlern auf die Actien. Das Steigungsverhältniß wurde auf 5 Millimeter per Meter herauf-, der Krümmungshalbmesser auf 800 Meter herabgesetzt, und die Zweigbahnen Pithiviers und Arpajou ließ man fallen. Unter Einfluß dieser großen Begünstigungen nahmen die Arbeiten an der Bahn den raschesten Fortgang. Der Ingenieur hatte 5 Jahr Zeit zum Bau; die Hälfte genügte ihm zur Vollendung. Der erste Spatenstich geschah zu Anfang 1841, und am 1. Mai

Bahnhof in Orléans.

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 4 vom 22. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 53. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_04.pdf/5&oldid=- (Version vom 6.1.2019)