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Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843


Weniger als die Costüme und Decorationen, die nichts zu wünschen übrig ließen, befriedigte die Musik; man fand dieselben Mittel zu oft angewendet, die Rhythmen zu einförmig, die Melodie zu häufig der Declamation geopfert. Gesang und Recitativ ähneln einander zu sehr, so daß man, so viele einzelne Piècen Karl VI. auch enthält, fast nur eine einzige Pièce zu hören glaubt. Diesen Fehler konnte man schon der „Jüdin“ desselben Componisten vorwerfen, in Karl VI. aber tritt er viel störender hervor, und zwar bis zur Ermüdung und Abspannung, so daß die einzelnen trefflich ausgedrückten Empfindungen, zierlichen Melodien und sinnreichen Anwendungen der Instrumente im Allgemeinen keine Wirkung machen. Halévy versammelt seine Gäste um eine immer sehr reich ausgestatte Tafel, aber auf jeder Schüssel befindet sich dasselbe Gericht, und nicht immer hat der Koch sich auch nur die Mühe genommen, die Würze daran zu ändern.

Zu den anziehendsten Piècen der Oper gehört unter andern das Duett zwischen der Königin und Odette, welches freilich auch bald erlahmt, um sich erst am Schlusse wieder zu steigern; ferner das Duett zwischen Odette und dem Dauphin, welches neu und pikant und eins der gelungensten Stücke in der Oper ist; dann das Duett beim Kartenspiel, welches jedoch seine Wirkung vielleicht mehr der Sängerin, Mad. Stoltz, und der Scene selbst, als der Composition verdankt. Im dritten Akt zeichnet sich fast nur das Quatuor:

Dieu puissant! favorise
Notre sainte entreprise u. s. w.

durch Harmonie und Neuheit aus. Es ist ohne Orchesterbegleitung. Im vierten Akte ist vorzüglich die Arie der Odette zu nennen. Die Worte der drei Spukerscheinungen:

Ils tombirent tous trois assassinés jadis;
Tu périras de mème.

machen durch ihre treffliche contrapunktistische Behandlung eine gute Wirkung. Die originellste Pièce der Oper ist wol die kriegerische Arie Poultiers im Anfange des fünften Akts, die durch ihre pikante Lebhaftigkeit ungemein ansprach. Dagegen ist die Nationalhymne: „In Frankreich wird nie der Brite Herscher sein“, trivial und fast ohne Melodie. Nur der Chor, der die letzten Worte wiederholt, macht Wirkung durch die Masse der Stimmen, die den Refrain wenigstens zu einem gewissermaßen materiellen Leben steigern.




Ein Reisemärchen.
Drittes Capitel.
Der Major von Horn.

Hier siehst du ihn, lieber Leser, wie er Franz Hut und Stock reicht.

Der alte Major von Horn war ein sonderbarer, eigenthümlicher Mann. Wer ihn so sah, in seiner steifen militairischen Haltung, mit der Frisur, wie sie in den letzten Lebensjahren Friedrich’s des Großen bei manchen deutschen Truppen üblich war, der mußte glauben, er sei im Garnisondienste irgend eines kleinen deutschen Reichsfürsten ergraut, und habe in seinem ganzen Leben weiter Nichts gethan, als die Wache vor dem Pallaste Serenissimi bezogen und Bauerlümmel zu Vaterlandsvertheidigern dressirt. Und doch war dem nicht so. – Dieses starre, eingetrocknete mumienartige Gesicht war von der heißen indischen Sonne so ausgedörrt, von den eisigen Winden des Nordens so verhärtet worden; einst aber hatten tiefe, warme Empfindungen es beseelt und belebt. Diese lange, steife, magere Gestalt, unverwüstlich, wie von Eisen, war in ihrer Jugend berühmt durch ihre Gewandheit, denn der Major hatte, als er noch Leutnant hieß, für den kühnsten und sichersten Reiter, den unverwundlichsten Fechter und den besten Schwimmer gegolten. – Und unter dem alten altmodischen Dienstrocke schlug ein noch älteres und ein noch altmodischeres Herz, ein Herz voll echter Liebe und Menschenfreundlichkeit, ein Herz voll Treue und Wahrheit, kurz ein Herz, wie man es jetzt nur selten findet.

Es war ein sehr bewegtes Leben, das er geführt, der gute Major. Aus einem alten adeligen, reichsunmittelbaren Geschlechte abstammend, aber ein jüngerer Sohn, hatte er allerdings seine Jugend als Page im Dienst eines kleinen Fürsten zubringen müssen, und war, da dieser sehr auf eine Garde von großen Leuten hielt, sobald sich seine Figur so vortheilhaft in der Länge entwickelte, schnell zum Leutnant in besagter Garde avancirt. Der Erbprinz war darauf sein genauer Freund geworden, so weit nämlich Erbprinzen überhaupt genaue Freunde werden können, und hatte sich ihn als Begleiter und Adjutant bei einer Reise nach Paris von seinem durchlauchtigsten Papa ausgebeten. In Paris ging es dem Prinzen, wie es so manchem Prinzen schon daselbst gegangen ist: er verwickelte sich in viele gefährliche Verhältnisse, aus denen ihn Horn durch seine Klugheit und seinen Muth jedes Mal rettete. Eines Tages aber war es ihm unmöglich geworden, ein Duell von dem Prinzen, dem es auch keinesweges an Bravheit fehlte, abzuwenden oder für denselben auszufechten; der Prinz fiel von einem Degenstoße durchbohrt und Horn, dem allein die Schuld beigemessen wurde, fiel auch, aber nur in Ungnade, und wurde auf der Stelle verabschiedet. Dadurch zerschlug sich seine bevorstehende Vermählung mit einer Hofdame der Fürstin, welche er auf das Innigste liebte, und die schwach genug war, ihren vornehmen Zofendienst der Verbindung mit einem redlichen, aber gekränkten Manne vorzuziehen. Er trat nun unter das holländische Militair und verließ Europa mit seinem Regiment. Lange Jahre brachte er auf den überseeischen holländischen Besitzungen zu, bald mit den Engländern, bald mit den Eingebornen im Kampfe. Als er endlich zurückkehrte, war die französische Revolution schon bis zum Consulate Bonaparte’s vorgerückt, und die Niederlande standen bereits, wenn auch nicht öffentlich, unter französischer Botmäßigkeit. Horn fand nun, daß er, obwol so eben aus einer strengen Schule der Erfahrung entlassen, doch Vieles aus dem Buche des Lebens zu lernen versäumt habe, und beschloß daher, als ein fleißiger Schüler der lebendigen Weltgeschichte dies emsig nachzuholen. Die neuen Ideen, die sich damals so gewaltsam Bahn gebrochen, ergriffen ihn und erschütterten sein innerstes Wesen, allein er hatte zu viel zu lernen, so daß

Major Horn.

es ihm nie gelang, die Gegenwart einzuholen, und er immer ungefähr eine Stunde hinter dem Heute zurückblieb. Dies war die Ursache, daß er sich durchaus nicht in die Welt finden konnte und mit Allem unzufrieden ward, am Meisten mit Napoleon, der ihm immer zu rasch vorwärts eilte. Er kämpfte aber doch unter dessen Fahnen treulich mit, bis sich des Eroberers Stern zu senken begann. Schwer verwundet bei Smolensk, erhielt er seinen Abschied und ging nach Deutschland. Am Befreiungskriege nahm er, obwol wieder hergestellt und gegen Napoleon heftig erzürnt, weil er ihn nicht begriff, keinen Antheil. Er meinte, er wolle nun auch einmal vom Parterre aus ansehen, wie sich das neue Trauerspiel da oben entwickelte, wo er so lange und so oft als Statist mitgespielt.

Napoleon’s Sturz wunderte ihn nicht, freute ihn nicht, ärgerte ihn nicht. Er sah ganz gelassen zu und wartete ungläubig, ob die Verheißungen jener Tage in Erfüllung gingen. Er war überhaupt durch seine praktischen Studien der Weltgeschichte ungläubig geworden, und hielt nicht viel von den Menschen; gar nichts eigentlich von den Männern und nur wenig von den Frauen; die letzteren hatte er nämlich nicht so genau kennen lernen, wie die ersteren; auch meinte er, er sei ihnen gegenüber befangen, weil er seine untreue Hofdame noch immer nicht ganz vergessen konnte. – Nachdem er lange bald hier bald dort gelebt, und es ihm nirgends recht hatte gefallen wollen, ließ er sich endlich, durch einen seltsamen Einfall dazu bewogen, für immer in dem kleinen Städtchen nieder, wo Maria mit ihrer Mutter wohnte. Als er nämlich einst im Buche seines Lebens blätterte, fiel ihm eine Seite in die Augen, die er lange nicht gelesen, und auf welcher etwas geschrieben stand, das ihm angenehme Erinnerungen weckte. In seinen Pagenjahren hatte er einmal im Gefolge des Fürsten einen Ausflug auf das Land gemacht und war durch das kleine Städtchen am frühen Morgen gekommen, wo noch Alles im festem Morgenschlaf gelegen. Serenissimus, der nur ausnahmsweise in der Nacht zu reisen pflegte, war im Wagen geblieben und setzte selbst einen anmuthigen Traum – ich glaube, er träumte, die Kurfürsten hätten ihn zum deutschen Kaiser gewählt – behaglich fort. Unser armer Page hatte aber absteigen müssen, um das Umspannen zu besorgen, und schritt nun nüchtern und frierend, denn es war im Spätherbste, auf dem Markte auf und ab. Da gewahrte er plötzlich in einem Häuschen gegenüber eine Familie, die traulich um den von einer Lampe erhellten Tisch bei dem Frühstück saß. Sie bestand aus Vater, Mutter und Tochter. An das Fenster klopfen und um eine Tasse Kaffee und ein Stück Brot bitten, war bei dem kecken Pagen das Werk eines Augenblicks, und nicht ohne Gefahr, denn hätten der gnädigste Herr oder dessen ungnädiger Begleiter, der Hof- und Reisemarschall, gesehen, daß einer ihrer hochadeligen Pagen sich so weit vergessen könne, bei der Roture um einen Morgentrunk zu betteln, während Durchlaucht selber noch nichts genossen, er wäre für immer verloren gewesen. Unser Freund hatte aber nur der Stimme seines Inneren gehorcht, d. h. seines Magens, der wir Menschen überhaupt weit öfter Gehör schenken, als wir selbst glauben, und das kühne Wagniß war ihm gelungen. Freundlich hatte man ihm das Fenster geöffnet und ihm das Erbetene zugesagt, aber zugleich ihn eingeladen, in das Haus zu kommen, um so mehr, da der kühle Morgenwind unheimlich durch die Oeffnung eindrang. Das hatte er jedoch nicht gewagt. Da war aber die Tochter, ein sanftes, hübsches Kind von sechzehn Jahren, mit dem Nöthigen zu ihm vor die Hausthür gekommen, ihn mit dem warmen Trank und einem Imbiß bewirthend, und im dünnen Morgenanzuge draußen freundlich wartend, bis des armen jungen Herrn Hunger und Durst gestillt war. Einen Kuß, um den er keck gebeten, schlug sie ihm mit freundlichem Ernst ab. Gleich darauf bliesen die Postillone, und die Reise ging weiter, so daß ihm nur eben die Zeit blieb, ihr auf das Lebhafteste zu danken und sich in den Wagen zu schwingen.

Verliebt hatte sich unser Page eben nicht in die barmherzige Samariterin, aber ihr freundliches Bild sich doch fest eingeprägt und im Anfang oft an sie gedacht. Später stieg bei seinem bewegten Leben die Erinnerung an dies anmuthige Abenteuer zwar seltener in ihm auf, allein die

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_02.pdf/14&oldid=- (Version vom 6.6.2018)