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abspielt, objektiv und nehmen die Zeit mit uns, indem wir diese als zu uns gehörig betrachten. Haben wir ein Recht dazu? Müssen wir nicht die Zeit als zu demjenigen Raum gehörig annehmen, wo das Ereignis stattfindet, d. h. müssen wir uns bei einer objektiven Betrachtung nicht nur außerhalb des betreffenden Raumes, sondern auch der Zeit stellen? Denn die Zeit ist mit jeder physikalischen Erscheinung untrennbar verknüpft[1], und wenn wir diese objektiv betrachten wollen, so dürfen wir die Zeit nicht isoliert behandeln, sondern sie als zu der Erscheinung gehörig rechnen und müssen deshalb, bei objektiver Betrachtung der letzteren, uns auch außerhalb der betreffenden Zeit stellen.

Dieses angenommen, wollen wir uns folgendes Bild machen. Wir stellen uns vor, daß es außer unserer Welt noch andere gibt, die sich, von uns aus beurteilt, mit konstanter translatorischer Geschwindigkeit im Raume bewegen. Wir selbst nehmen zu einer jeden dieser Welten einen objektiven Standpunkt ein und müssen deshalb, infolge obiger Erörterungen, annehmen, daß jede dieser Welten nicht nur ihren besonderen Raum beansprucht, sondern auch ihre eigene Zeit besitzt. Dasselbe muß sich auch ein Beobachter auf irgend einer der Welten in bezug auf die übrigen sagen.

Um uns über den Gang der physikalischen Erscheinungen in den verschiedenen Welten eine Vorstellung zu machen, befragen wir alle entsprechenden Beobachter, z. B. nach welchem mathematischen Gesetz bei ihnen die elektromagnetischen Erscheinungen im sogenannten Vakuum verlaufen. Und siehe da, als Antwort erhalten wir von allen Beobachtern eine gleichlautende Formel und zwar die Maxwellschen Gleichungen d. h. dieselben, nach denen wir selbst diese Erscheinungen beobachten. Was schließen wir daraus? Wir schließen, daß in bezug auf diese Erscheinung alle unsere Welten gleichberechtigt sind und keine vor der anderen einen Vorzug hat. Verallgemeinern wir diese Betrachtungen auf alle Erscheinungen, so kommen wir zu dem Schluß, daß alle obigen Welten in allen Beziehungen einander gleichwertig sind. Insbesondere kann jede von ihnen sich als ruhend betrachten und die anderen als beweglich, relativ zu ihr. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß es uns unmöglich ist, eine absolute Bewegung nachzuweisen[2], und daß wir nur relative Bewegungen beobachten können, und gelangen so zu der allgemeinen Fassung des Relativitätsprinzips: „Durch kein Experiment, welches wir auf einer der Welten ausführen, können wir die absolute Bewegung derselben feststellen, sondern nur die relative in bezug auf


  1. H. Minkowski, „Raum und Zeit“, Leipzig, B. G. Teubner und auch Jahresber. d. Deutschen Mathem.-Ver. 18, 75-88; Phys. Zeitschr., 10, 1909, S. 104.
  2. A. Einstein, l. c., S. 891.
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Wladimir Sergejewitsch Ignatowski: Das Relativitätsprinzip (Ignatowski). Archiv der Mathematik und Physik, Leipzig 1911, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:IgnatowskiRelativ.djvu/2&oldid=- (Version vom 15.9.2022)