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trauriger Umstand für eine Göttin der Keuschheit. Und endlich, so ist bekannt, daß die Diana der Alten mit bis über die Knie entblößten Beinen und übrigens sorgfältig bedeckt, abgebildet wurde. Die unsrige hingegen erscheint schier ganz entblößt, ausgenommen die Beine bis über die Knie nicht, die sogar sorgfältiger bedeckt sind, als es sonst bei dem keuschen Geschlecht gewöhnlich seyn soll. Das ist sehr arg. Selbst der Medusenkopf da unten, der alles dieses theils besser verstehen, theils besser sehen mag als wir, scheint sein antiquarisches Erstaunen über diese so ganz unmythologische Aufführung der keuschen Göttin zu äußern. Ja, was sage ich Erstaunen, er scheint über dem Anblick zum ersten Mal den Erstarrungstod selbst zu erleiden, den er sonst bloß zu verbreiten gewohnt war.

Sie scheint im Begriff gewesen zu seyn, in den Reifrock, zur Schonung der Frisur, hinein steigen zu wollen, als sie bei der Repetition ihrer Rolle auf eine Stelle stieß, die viel oratorische Platzung erforderte, wodurch sie aufgehalten wurde. Vielleicht war auch der Rock schon fest gebunden, und die oratorische Platzung hat die von dem Rockband bloß nach sich gezogen.

Nun ein Paar Worte zur Ehrenrettung dieses armen Geschöpfs. Es ist wahr, Hogarth hat sie für eine Göttin der Keuschheit schlecht bekleidet, wenigstens sehr undianenmäßig. Aber hat die Natur mehr für sie gethan? Diana war schlank und groß, sie ragte überall um eine Kopfslänge hervor. Die unsrige hier ist untersetzt und fleischig, und bei dieser Lage der Dinge ereignete sich ein sehr wichtiger Umstand. Kopf und Herz kommen hier einander um eine ganze Spanne näher. Was das arme und warme Herz brütet, gelangt hier noch arm und warm, wie es ist, zum Kopf, und eine geometrische Spanne wird zu einer moralischen Meile. O! wohl allen den aufgeschossenen Hageren, bei denen die warmen Machinationen des Herzens Zeit haben, sich auf dem meilenlangen Wege zum Kopf abzukühlen! ES sollen daher die langen Knochensysteme, wo nicht allen, doch manchen Tugenden seit jeher viel günstiger gewesen seyn, als die mehr zusammengedrückten und überfleischten. Auch scheint ihr Auge und die ganze Gesichtsform dem Blick ungebildet und roh, so viele Blick-Ableiter sie auch