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wenn meine Tante[WS 1] die Stimmen der Arien von Hasse, oder von Traetta[WS 2], oder sonst einem Meister, auflegte; der Advokat durfte nicht mitspielen. Schon wenn sie die Einleitung spielten und meine Tante noch nicht angefangen zu singen, klopfte mir das Herz, und ein ganz wunderbares Gefühl von Lust und Wehmuth durchdrang mich, so daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber kaum hatte die Tante einen Satz gesungen, so fing ich an bitterlich zu weinen, und wurde unter heftigen Scheltworten meines Vaters zum Saal hinausgebracht. Oft stritt sich mein Vater mit der Tante, weil letztere behauptete, mein Betragen rühre keinesweges davon her, daß mich die Musik auf unangenehme, widrige Weise afficire,[WS 3] sondern vielmehr von der übergroßen Reizbarkeit meines Gemüths; dagegen mich der Vater geradezu einen dummen Jungen schalt, der aus Unlust heulen müsse, wie ein antimusikalischer Hund. – Einen vorzüglichen Grund, nicht allein mich zu vertheidigen, sondern auch sogar mir einen tief verborgenen musikalischen Sinn zuzuschreiben, nahm meine Tante aus dem Umstande her, daß ich oft, wenn der Vater zufällig den Flügel nicht zugeschlossen, mich stundenlang damit ergötzen konnte, allerlei wohlklingende Akkorde aufzusuchen und anzuschlagen. Hatte ich nun mit beiden Händen drei, vier, ja wohl sechs Tangenten[WS 4] gefunden, die, auf einmal niedergedrückt, einen gar

Anmerkungen (Wikisource)

  1. In der Gestalt der Mutterschwester sind zwei Tanten Hoffmanns, Johanna Sophie (1745-1803) und Charlotte Wilhelmine (gest. 1779, genannt „Tante Füßchen“) Doerffer, zusammengeflossen. Während die ältere von beiden Schwestern, von Hoffmann hochverehrt, nach Hippels Zeugnis (vgl. H.s Briefwechsel, Bd. 1, S. 5) offenbar unmusikalisch war, hat Gesang und Lautenspiel der jüngeren einen unauslöschlichen Eindruck auf H. gemacht (vgl. die Kreisler-Biographie im Kater Murr).
  2. Johann Adolf Hasse (1699-1783), von Hoffmann besonders als Kirchenkomponist geschätzt; vgl. seinen Aufsatz Alte und neue Kirchmmusik im 2. Band der Serapions-Brüder. Tommaso Traetta (1727-1779), Vertreter der älteren italienischen Kirchen- und Opernmusik.
  3. Afficieren, aus lat. afficere: erregen, erleiden machen, einen Zustand in einem Wesen bewirken.
  4. Hinweis, das hier Clavichord gespielt wird, ein kleines Tasteninstrument, bei dem die Saiten nicht durch Hämmer, sondern von Metallstegen angeschlagen (eigentlich: angedrückt) werden; Clavier, Flügel etc. war in dieser Zeit eine zusammenfassende Bezeichnung für Tasteninstrumente wie Cembali, Hammerklaviere, Clavichorde etc.