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politischen Unsinns auf die Bühne gebracht hatte, so findet auch dieß in den Verhältnissen der Zeit und in dem Geist der platonischen Philosophie seine Erklärung. Einerseits nämlich hatten lange und schwere Erfahrungen seit dem Anfang des peloponnesischen Krieges gezeigt, mit welchen Gefahren die Wohlfahrt der Staaten durch die Selbstsucht der Einzelnen bedroht sei. Diesen Gefahren wollte Plato vorbeugen, indem er jener Selbstsucht die Wurzel abschnitt: er wollte durch gänzliche Aufhebung des Privatbesitzes den Streit der Privat-Interessen gegen das allgemeine Interesse unmöglich machen. Einigkeit, sagt er, sei für den Staat das erste Bedürfniß; die volle Einigkeit werde aber nur da sein, wo Keiner etwas für sich habe. Er beging also den gleichen politischen Fehler, wie ihn später Hobbes begangen hat, als er den Uebeln der Revolution durch unumschränkten Despotismus begegnen wollte, wie ihn die Staatskünstler der Reaktion heute noch täglich begehen, wenn sie die Uebergriffe des Freiheitsstrebens nicht durch Befriedigung der begründeten und Abschneidung unbegründeter Forderungen, sondern durch Unterdrückung aller Freiheit zu dämpfen versuchen; mit dem wesentlichen Unterschied freilich, daß bei Plato mit der unbeschränkten Herrschermacht die vollendete Tugend und Einsicht, mit den socialistischen Einrichtungen eine Erziehung der Staatsbürger verknüpft sein soll, welche jeden Mißbrauch derselben zu verhindern und die äußerste Beschränkung der persönlichen Freiheit mit ihrem freien Wollen in Einklang zu bringen hätte. Mit den politischen Gründen wirkte aber hiefür Plato’s philosophische Eigenthümlichkeit zusammen, und sie ist es, welche für die Gestaltung seines Staatsideals den Ausschlag gab. Die Härten seiner Vorschläge beruhen in letzter Beziehung auf dem idealistischen Dualismus seiner ganzen Weltanschauung. Wer nichts Höheres kennt, als die Betrachtung der allgemeinen Begriffe, nichts wahrhaft Wirkliches, als die außer den Einzelwesen für sich bestehenden Gattungen, wer in der Sinnenwelt nur die entstellende Erscheinung der übersinnlichen, in der Individualität nur eine Beschränkung und Trübung, nicht die unerläßliche Bedingung für die Verwirklichung des Allgemeinen sieht, der kann folgerichtig auch für’s Praktische keine freie Entwicklung der Individuen zugeben; sondern er wird verlangen müssen, daß der Einzelne allen persönlichen Wünschen entsage und in selbstloser Hingebung

Empfohlene Zitierweise:
Eduard Zeller: Der platonische Staat in seiner Bedeutung für die Folgezeit. In: Historische Zeitschrift Bd. 1. Literarisch-artistische Anstalt der J. G. Cotta’schen Buchhandlung, München 1859, Seite 112. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Historische_Zeitschrift_Bd._001_(1859)_112.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)