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Männer fluchten. Kleiderfetzen rissen sie einander vom Leibe, setzten in sinnlos werdender Gier mehr ein, als sie gewinnen konnten. Brausend wurde der Lärm, wirrer, leidenschaftlicher das Getümmel. Die Leute erbosten sich über einander, steckten sich mit ihrer Wuth gegenseitig an. Und mich selber packte es mit aufregender Gewalt, dieses großartige Bild. Ein Stoff für Maler, die ihrer Zeit nicht aus dem Wege gehen wollen! Das heißt: Rechenschaft über diese Dinge gab ich mir erst später, viel später. Damals verstand ich sie kaum.

Weil ich nicht mehr viel Soldi hatte, mußte ich das Geld allmählich sparsamer hinauswerfen. Das erbitterte sie gegen mich. Grelle Pfiffe, zornige Schreie stiegen auf. Es schien fast, als ob dieser arme Pöbel plötzlich zum Bewußtsein der Demüthigung gelangt wäre, die ich ihm zufügte. Meine Herren, ich gestehe, daß mir das Lachen verging. Ich hatte die Wildheit des Thieres, mit dem ich spielte, unterschätzt. Es war zu spät, um zurückzuweichen. Das Entfesselte wuchs mir über den Kopf. Die Wüthenden drängten mir immer näher. Es gab nur Ein Beschwichtigungsmittel: weiter Geld unter sie werfen! Aber wie lange reichte es noch? Schon begann der Abend zu dämmern. Ich verlor einen Moment lang die Ruhe und schleuderte mehr Münzen auf einmal hinunter. Brüllend fielen sie darüber her. Was jetzt vor mir tobte, war eine Straßenschlacht. Ein paar Wachleute waren vorhin aufgetaucht, um Ruhe zu schaffen, und wurden einfach weggetrieben. Bis sie Verstärkung bekamen, konnte ich längst zertreten sein. Instinktiv wendete ich mich nach Rettung um. Die Kathedrale! Aber ich hatte vielleicht fünfzig Stufen zu steigen. Ein Versuch. Laufend wollte ich hinauf. Das war eine Thorheit. Kaum hatte ich ihnen den

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/86&oldid=- (Version vom 1.8.2018)