Banalität. Ich will Sie entschädigen, indem ich über den weiteren Verlauf des Bekanntwerdens hinweggleite.
Wir wohnten alle im oberen Capuziner-Hotel, das man auf Anglo-Italienisch „Upper-Capuccini“ nennt. Das Wort erinnert angenehm an die oberen Zehntausend, an erhabene Preise und dergleichen. Aus den schmalen Fenstern des alten Hauses genießt man einen weiten Ausblick auf die verwitterte Felsenküste und auf das grüne Meer … Ich blieb fortwährend in der Gesellschaft der Coverleys, den Kapitän Hatton-Green mußte ich natürlich auch mit in den Kauf nehmen. Was mir seine Anwesenheit versüßte, war der große Verdruß, den ihm die meinige offenbar bereitete. Meine Eitelkeit sehnt sich immer nach Rivalen – weil ich es liebe, vorgezogen zu werden. In Allem ließ ich ihn meine Ueberlegenheit fühlen. Wenn er ein Lied gekrächzt hatte, sang ich eins. Ich tanzte besser als er, lief schneller, ruderte geschickter, ritt verwegener, traf mit dem Revolver mehr Vögel im Fluge; ich war gelassen, wenn er gereizt war, und übermüthig, wenn er verstummte. … Wir waren also immer beisammen; bei schlechtem Wetter im Salon, bei gutem im Freien. Amalfi! Das ist für mich die unvergeßliche Landschaft. Wir machten köstliche Ausflüge: Eselsritte hinauf nach Ravello, Spaziergänge nach Majori, Minori und Barkenfahrten nach – nach dem Sonnenuntergang. Miß Mabel Coverley strahlte mich mit zärtlichen Augen an und gab mir die förmliche Erklärung, daß sie sich noch nie so gut unterhalten habe.
Denn wie ich schon die Ehre hatte, Ihnen mitzutheilen, war das meine prachtvollste Zeit. Ich war damals noch ein großer Amuseur. Ich war unerschöpflich in Schwänken, Mätzchen, Späßen von tausenderlei Art. Wie hat Miß Mabel sich das Taschentuch in den lachenden Mund gestopft,
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/80&oldid=- (Version vom 1.8.2018)