Dort ging er mir durch – eine ältere, aber warmfühlende Gräfin hatte sich in seine Affektationen verliebt und entführte ihn. Ich war darüber nicht in Verzweiflung, denn ich hatte mit diesem abgeschmackten Bengel miserable Geschäfte gemacht. In eine ziemliche Verlegenheit brachte er mich allerdings. Für das nächste Konzert hatte ich nämlich schon eine Anzahl Sitze voraus verkauft und mußte nun das Geld zurückerstatten. Dazu wäre ich mit Vergnügen bereit gewesen – wenn ich es noch gehabt hätte. Aber wir lebten von vorgegessenem Brod. Ein paar Napoleons hatte ich wohl noch. Die waren nicht hinreichend. Was thun? Ich that Folgendes: ich annoncirte, daß unser nächstes Konzert – von dem ich wußte, es könne nie mehr stattfinden – in acht oder zehn Tagen stattfinden werde, weil sich mein Virtuose den kleinen Finger der linken Hand verstaucht habe. In acht oder zehn Tagen konnt ich mir die nöthigen Fonds aus aller Welt zusammengetrommelt haben und meinen Verpflichtungen nachkommen. Denn dem Publikum bin ich nie etwas schuldig geblieben. Da ich aber voraussah, daß ich mich während dieser Wartezeit in Neapel nicht behaglich fühlen dürfte, so suchte ich mir einen stilleren Ort in der Umgebung aus, wo ich billig leben und – wo mich Niemand finden konnte.
So entschloß ich mich, nach Amalfi zu gehen. Dahin fahren höchstens die Fremden, nie ein Neapolitaner… Meine Herren, es reist sich schön, wenn man Banknoten in der Tasche hat, oder – wie man alterthümlich sagt – wenn die Geldkatze geschwollen ist. Der sonnige Schein des Goldes überglänzt die Gebirge. Aber schöner, viel, viel schöner ist es, ohne Geld zu reisen. Nämlich nicht ganz ohne Geld, sondern nur mit so wenig, daß man sich eine Menge reizender Dinge nicht kaufen kann. Wie begehrenswerth
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/76&oldid=- (Version vom 1.8.2018)