unberechenbar und gefährlich, wie ein Mann von Geist! Hundert geistreiche Leute zusammengenommen sind zuweilen Ein Dummkopf. Die Menge ist bekanntlich großmüthig und boshaft, intelligent und albern, tollkühn und feig – Alles in demselben Augenblick – sie weicht einem Milchkarren vorsichtig aus und geht in die Bajonette hinein, sie lacht über einen Witz und versteht keinen Spaß, wird durch eine sentimental aufgedonnerte Phrase gerührt und jubelt einer Grausamkeit zu. Die Nuancen sind unerschöpflich. Darum kann ein Demagog ebensowenig wie ein Impresario voraussehen, wie sich der Erfolg gestalten werde. Der Impresario ist ja dem Demagogen innig verwandt. Das ist kein verwegener Dessertausspruch, meine Herren! Ich bin fest überzeugt, Gambetta würde es auch verstanden haben, einen Tenor zu managen. Und wenn Barnum sich nicht auf die Elephanten, sondern auf die höhere Politik geworfen hätte, so wäre er vielleicht Präsident der Vereinigten Staaten geworden.
Ich selbst… Nun, ich will von mir nicht reden. Das heißt – wenn es Sie doch interessiren könnte? – mir fällt da ein kleines Erlebniß ein, beinahe ein Roman, der fast schlecht geendigt hätte… Wollen Sie hören? Sollte ich die Geschichte schon Einem der Anwesenden erzählt haben, so bitte ich ihn, unterdessen ein wenig zu schlummern, aber nicht zu schnarchen, weil mich das stören würde.
Hm, in welchem Jahr ist es denn nur gewesen? … Einen Augenblick! War’s auf meiner ersten oder zweiten italienischen Reise? … Darauf kommt’s eigentlich gar nicht an. In Amalfi … Halt, jetzt besinne ich mich. Auf meiner zweiten italienischen Tour geschah es. Ich hatte einen Klavierspieler bis nach Neapel mitgenommen.
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/75&oldid=- (Version vom 1.8.2018)