es hoch kommt, an die Kenner. Die zahlen aber, wie jener sparsame Gourmand, für den Duft der Speisen bloß mit dem Klange des Goldes. Von den Kennern allein lebt man nicht, wenigstens nicht gut, denn sie kriegen meistens Freikarten. Ich kommandire eine größere Legion: die Nachbeter! Ich führe die stürmenden Leute an die Billetschalter, wo sie sich die Kleider vom Leibe reißen lassen – einem Kunstgenuß zuliebe, dem sie ausweichen würden, wenn sie ihn gratis haben könnten. Drängen sie sich nicht, so arrangire ich das Gedränge und lasse mir von Miethlingen das Kasselokal verwüsten. Von nichts wird das Publikum so sehr hingerissen, wie von sich selbst. Das ist die brutale und alberne Selbstgefälligkeit der Massen, die so leicht zu leiten ist. Nur sind viele dieser kleinen Mittel durch die Stümper diskreditirt worden. Wenn man nicht aufpaßt, fällt man dabei hinein. So wollten einmal in Lyon einige unbezahlte Enthusiasten der Geraldini die Pferde ausspannen. Ich kenne aber dieses Volk, das am Morgen den Gegenstand seiner gestrigen Begeisterung blaguirt, in Grund und Boden lacht. Ich kam noch rechtzeitig dazu und bat die Leute im Namen der anspruchslosen Künstlerin flehend, solche Ovationen sein zu lassen. Dieser „vornehme Zug“ ging dann durch alle Blätter und wurde zu einer Riesenreklame. Ich habe mir den Coup gemerkt und ihn noch ein paarmal angewendet – bis er auch abgenützt war.
Aber davon wollte ich nicht reden … Ich ließ also die Klimpfinger’sche ausbilden, nachdem ich sie durch gute Kontrakte an mich gebunden hatte. Die Kunstfertigkeiten erlernte sie wie ein Papagei – aber was will das heißen? Sie sang richtig, doch ohne Gefühl. Den tragischen Schritt hatte sie bald heraus, aber nicht den seelenvollen Gang.
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/65&oldid=- (Version vom 1.8.2018)