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Spangelberg,[1] der Impressario, ist wieder hier. Das heißt, ich sah ihn vor acht Tagen. Ob er sich heute in Olmütz, Petersburg, oder Lissabon aufhält, ob er für fünfundsechzig Centimes in irgend einem Bouillon Duval zu Paris tafelt, oder bei Doney in Florenz getrüffelte Kapaunen mit Champagner begießt – wer vermöchte das zu sagen? Einzelne seiner Gläubiger würden vielleicht etwas dafür geben, wenn sie es wüßten: nämlich die Exekutionskosten. Soviel ist sicher: die Heerstraße der Spießbürger geht er nicht, sondern immer querfeldein durchs Leben; gleichgültig, wem die Felder gehören. Er kennt alle Genüsse, mit Ausnahme der sogenannten Pflichterfüllung, und alle Entbehrungen, die nicht auf Tugendhaftigkeit zurückzuführen sind. An allen vier Enden der Welt hat er Philister genasführt, Weiber bethört und Händel ausgefochten. Noch heute, wo sein Rubensbart zu ergrauen beginnt, glänzen seine Augen jung und abenteuerlustig, und wenn er hoch und elastisch vorüberschreitet, schielen die Frauen wohlgefällig nach ihm hin. Ein Zug von spöttischer Ueberlegenheit ist in seinem Gesichte, denn er kennt sehr viele Träger imposanter Namen ledig des arrangirten Ansehens, das sie sich vor der gläubigen Menge geben; kennt sie von ihren Anfängen her, oder aus der schlechten Gesellschaft. Für ihn selbst ist nach wie vor der morgige Tag


  1. Von der Figur Spangelberg handelt auch Der Aufruhr von Amalfi
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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/60&oldid=- (Version vom 1.8.2018)