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wunderlichen Stimmungen, die um diese Lebenszeit der Räthsel in jungen Menschen auftauchen. Sie will nicht mehr mit Ihnen verkehren, und ich mußte es ihr feierlich versprechen. Sie ist ja sonst ein so gutes Kind. Ihnen mußte ich es aber doch insgeheim sagen, damit Sie nicht etwa einen ernsteren Grund vermuthen, denn ich schätze Sie nach wie vor.“

„Und sehen Sie, mein lieber Herr, so habe ich die kleine Sarah Holzmann verloren.“

Herr Hellmund meinte: „Das ist ja sehr – sehr, wie soll ich sagen? Curios!“

Der Maler schloß seine Erzählung:

„Ich treffe sie jeden Sommer hier. Aus der Ferne sehe ich sie wachsen, reifen. Ich erkenne auch an manchen Zeichen, wie dieser unbehobene Schmerz ihre Seele ausarbeitet. Ihre Musik ist mir eine Botschaft vom tiefen Geheimniß. Sie leidet und kämpft. Wie eine Mitschuldige sorgt die Reine dafür, daß ihre Mutter nie ertappt werde; denn der alte Mann erführe ja so die Schande. Ob das abscheuliche Paar weiß, wie sie ihnen hilft? Ich nehme an, daß die Beiden in ihrer sorglosen Unsauberkeit sich weiter darüber keine Gedanken machen. Sie können ruhig sein, sie sind ruhig; Sarah Holzmann wacht.“

Die Herren waren jetzt im Uferdorfe Sanct Leodegar angelangt. Herr Hellmund versuchte da sitzen zu bleiben, um, wie er sagte, die Geschichte zu verdauen. Herr Gerhard wollte aber sogleich mit dem Boote zurückfahren.

„Es hieß doch, daß wir im Mondschein heimkehren?“ wendete Herr Hellmund ein.

„Ja, ich sagte das nur vor Sarah Holzmann, weil sie nie singt, wenn sie mich in der Nähe weiß; das habe ich durch einen Zufall erfahren und dann durch Beobachtungen

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)