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wenn sie, an den Arm des Alten geklammert, zwischen ihm und mir einhertänzelte. Ich hatte ja auch schon bald meine vierzig auf dem Rücken, und es konnten überhaupt nur die Empfindungen eines bejahrten Onkels sein, die mir das reine Kind einflößte. Was war schöner, wenn sie uns erzählen ließ – den Vater von den Reisen und Schauplätzen seiner Jugend, mich von meiner Kunst und den guten Meistern – und wenn sie mit einem Glanz in ihren tiefen Augen lauschte? Oder ihr eigenes Geplauder, dieses Zwitschern, dieser Gesang, wobei wir Großen einander nur stumm über ihr liebes Köpfchen hinweg anblickten? Hielt sie dann ein, so sprach ihr Vater gern die Worte des Liedes vor sich hin:

O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh –
Vogelsprachekund, vogelsprachekund,
Wie Salomo …

Auf solchen Ausflügen gingen wir Drei gewöhnlich voran. Frau Holzmann kam mit dem Baron hinterdrein. Der war schon damals in ihrer Gesellschaft. Der Kommerzienrath sprach zu mir mit einer unnachahmlichen stillen Ironie von diesem Herrn, der sich, wenn ich nicht irre, wohl oft von ihm Geld ausgeborgt haben mag. Wie weit reichte aber der Scharfblick des überlegenen Alten, wie viel sah und übersah er? Das weiß ich nicht. … Nun begab es sich, daß der Kommerzienrath auf einige Zeit verreisen mußte, um nach seinen Geschäften zu sehen. Sarah war natürlich recht betrübt. Er mußte ihr versprechen, daß er schreiben, telegraphiren und bald wiederkommen werde. Sie war doch ein vernünftiges Kind und schickte sich, wenn auch mit ein bißchen Schwermuth, darein. Nachdem er weggefahren war, machte ich ihr alle meine

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/52&oldid=- (Version vom 1.8.2018)