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Herr Hellmund, ein wohlhabender älterer Junggeselle verbrachte einige Sommerwochen an diesem Gebirgssee. Der Ort war den reisenden Herden noch nicht bekannt. Das Hotel beherbergte selten mehr als zwei oder drei Dutzend Gäste. Diese bildeten aber fast eine einzige Gesellschaft, so daß man immer Unterhaltung genug hatte. Nur eine kleine Gruppe blieb vom Verkehr der Uebrigen dauernd ausgeschaltet. Man mußte freilich länger im Seehof sein, um diese Ausschaltung wahrzunehmen. Bei den Mahlzeiten saßen alle am gemeinschaftlichen großen Tisch. Am oberen Ende hatte Herr Gerhard, ein Maler, seinen angestammten Platz, weil er schon seit Jahren hierher kam. Weiterhin war eine töchterreiche Hofrathsfamilie angesiedelt. Dann folgte Dr. Hübner Bey mit seiner Frau, zwei Buben und einer Gouvernante. Diese Gruppe war selten vollzählig, entweder es fehlte der Bey oder seine Frau bei Tische; erschienen aber beide, so war in jener Gegend ein heftigeres Tellergeklapper, manchmal auch ein halblauter Wortwechsel zu hören. Dann schob wohl der Bey mit geröthetem Gesicht seinen Stuhl zurück und eilte vor dem Ende der Mahlzeit hinaus. Um den langen Tisch herum flatterte nach solchen Abgängen des Afrikaners ein wohlerzogenes, kaum merkliches Lächeln, woran sich nur zwei Personen nicht betheiligten. Es waren dies Herr Gerhard, der steinern wie sonst drein sah, und das junge Fräulein

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)