freien Stunden Chemie studirt, weil er schon lange vermuthete, daß die Bewegung in der Luft nur durch eine ununterbrochene Reihe kleiner, sozusagen gebändigter Explosionen bewirkt werden könne. Wie er die Kraft der Explosionen übertrug, wie er die Sprenggase, bevor er sie entweichen ließ, zur Drehung und Lenkung des ganzen Fahrzeuges verwendete, das will ich Ihnen nicht auseinandersetzen. Es würde die Damen ermüden. Ich will ja auch garnicht das Luftschiff schildern, sondern das eigenthümliche Schicksal seines Erfinders.
Vierzehn Jahre hatte Joseph Müller nachgedacht, studirt, gerechnet und versucht. Dabei versäumte er das Handwerk nicht und war seinem Meister ein fleißiger Arbeiter. Nur zu Unterhaltungen und Liebschaften nahm er sich nicht Zeit. Erst in seinem fünfunddreißigsten Jahre, in dem er auch die Entdeckung machte, lernte er in der Nachbarschaft eine schnippische Jungfer kennen, die es ihm anthat. Im Uebrigen war er ein vernünftiger Mensch. Das zeigte sich am besten an der Art, wie er selbst später von seiner Erfindung sprach. Er wollte sie rein zufällig gemacht haben, es wäre eigentlich gar nicht sein Verdienst, er sei nur im Herumtappen darauf gestoßen. Freilich, der Augenblick, in dem er erkannte, daß er das Flugproblem gelöst habe, bedeutete für ihn eine große Erschütterung. Er brach in Thränen aus und schluchzte lange in der Einsamkeit seiner armen Stube. Es war vorläufig nur das einfache Prinzip, das er hatte, gleichsam die Melodie; aber er wußte auch sofort die ganze Instrumentirung, er ahnte die herrliche Aufführung und den Rausch, den Jubel der Menge voraus.
Dann sammelte er sich und arbeitete seine Entwürfe im Einzelnen aus. Es war wieder eine lange Mühe. Als
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/33&oldid=- (Version vom 1.8.2018)