In einer Dämmerung unter Bäumen saß eine gute Gesellschaft von Frauen und Männern. Die Frauen waren von der edlen Art, was man am ganzen Zug des Gespräches erkannte, das doch nur die Männer führten. Es wurden keine niederen Späße gemacht, wie frei man auch über Manches redete, und Keiner dachte an Klatsch oder geringe Tagesneuigkeiten. Für den Ton in einer Gesellschaft sind immer die Frauen verantwortlich, weil die Männer ihnen Alles an den Augen absehen, das Hohe wie das Gemeine. In dieser Gesellschaft nun wagte man es zuweilen, laut zu phantasiren und moderne Märchen zu erzählen, die in einer anderen Umgebung lächerlich geklungen hätten.
Einer, der eben von Paris zurückgekehrt war, berichtete über gesehene Dinge. Er sprach von den neuen Moden, aber nicht wie ein Schneider, sondern bemühte sich, die Herkunft und den Sinn der Erscheinungen aufzuklären. Vom Fahrrad ging er aus, und wie es das Straßenbild verändere. Wer hätte vor wenigen Jahren gedacht, welche Umwälzungen diese Spielerei hervorrufen würde. Nun tauchen die Wagen ohne Pferde auf. Was werden diese bringen? Jede Verkehrserneuerung kann gewaltige und unerwartete Folgen haben. Sonderbar äußert sich das im Leben der Massen, in ihrer Wohlfahrt und Sittlichkeit. Es entstehen neue Krankheiten, oder der Menschenschlag
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)