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Solon trat zu den Liebenden: „Omphale, ich muß mit Deinem Bräutigam Ernstes reden. Dein Vater wünscht, daß wir Männer allein seien. Du darfst ihm den Brautkuß geben … Und nun geh’!“

Selig lag die Braut an des Eukosmos Brust. Kein höherer Augenblick ist im Leben, das fühlte sie. Und mit einem letzten Lächeln aus zärtlichen Augen entwand sie sich ihm und schritt gefügig hinaus, weil die Männer zu Ernstem allein sein wollten.

„Nun, Eukosmos“, sagte Solon, „bist Du noch der Meinung, daß die Menschen sich beglücken lassen? Du hörst den Aufruhr da unten. Den hat Dein Göttergeschenk hervorgebracht. Willst Du ihnen noch immer das ewige Brot ohne Sorge, ohne Arbeit bescheren? Willst Du nicht lieber Dein Geheimniß für Dich behalten? Vernichte es, vergiß es! Omphale ist Dein, weil Du ihrer würdig bist, Kroisos wird sie Dir geben, auch wenn Du Dein Wundermittel nicht verräthst. Folge mir, lass’ die Leute wie ehemals auf dem Acker schwitzen und sich lahm und krumm arbeiten. Es thut Ihnen gut. Sie bringen es zu etwas.“

Eukosmos richtete sich auf: „Ich kann nur glauben, daß Du mich auf eine Probe stellst, Solon! Du möchtest sehen, ob ich so niedrigen Sinnes sei, daß ich mein Wort nicht hielte. Omphale ist meine Braut, und morgen werde ich mein Geheimniß kund machen. Das Mittel ist nicht mein, es gehört vielmehr allen Menschen, für die ich es nur in Treue aufbewahrte. Daß die da unten rasen, ändert an ihrem Rechte nichts. Auch rasen sie nur, weil sie nicht wissen. Ich werde Ihnen die Augen öffnen.“

Da sagte Solon mit weicher Stimme: „Du hattest es errathen, es war eine Probe. Eukosmos, ich liebe Dich, wie Du bist. Ich habe nie einen Menschen so geliebt,

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/25&oldid=- (Version vom 1.8.2018)