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die haben es am weitesten gebracht. Was die gemeinen bequemen Leute nicht wagen, das wagen meine Leute. Wo der Berg am steilsten ist, dort klettern meine Jungen. Es geht dabei nämlich immer hinauf … Nun, sagen Sie selbst, ist das nicht ein guter Inhalt für ein Leben? Dem Meere ein Stück Land abringen, ist noch nicht das Höchste. Höher ist, was ich mit Bewußtsein schaffe. Und blicke ich zurück in die Vergangenheit, so meine ich, daß alle großen Menschen der Geschichte einmal am letzten Ufer waren und umkehrten, damit ihre Verzweiflung Früchte trage. Alle Erfinder, Propheten, Helden, Staatsmänner, Künstler – auch alle Philosophen, mein lieber Gast, denn man philosophirt nie höher, als wenn man dem Tod ins Auge geschaut hat … Blicken Sie da zum Fenster hinaus! Schon neigt sich die rosenfingrige Eos über den blassen Strom. Es wird ein holder Morgen. Wollen Sie noch? …“

„Nein,“ sprach der Professor; „und ich schäme mich, zu sagen, warum ich es wollte. Leben Sie wohl, mein lieber Wirth, haben Sie Dank!“

Er trat zum Hause hinaus. Ja, es lag ein rosiger Hauch auf dem letzten Ufer. Und der Philosoph ging mit einem Lächeln im Gemüthe heim zu seiner Xanthippe.


Druck von G. Bernstein in Berlin.
Empfohlene Zitierweise:
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 244. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/249&oldid=- (Version vom 1.8.2018)