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ergreifenden Gleichniß. War nicht auch mein Leben, das ich wegschleudern wollte, ein solcher Fabrikationsrest, aus dem sich vielleicht noch Gutes ziehen ließ? Und wie ich erschüttert weitersann, brach in mir die frühere spöttische, feige und düstere Weltanschauung zusammen, und etwas Neues stieg herauf, das freilich Jahre brauchte, bis es so fest und heiter wurde, wie es heute ist. Statt mich umzubringen, baute ich hier mein Haus und nannte es erinnerungsvoll und hoffnungsvoll: „zum Anilin!“ Meine Bekannten, denen es nicht eingefallen war, mich für verrückt zu halten, so lange ich meine Tage und Nächte verliebelte, verspielte und versoff, meine Bekannten fanden zwar, daß ich ein Narr sei, als ich anfing, in mein Leben einen Sinn zu legen. Aber das Urtheil ist ungemein leicht zu tragen, wenn man nur in seinen eigenen Schuhen steht. Und ich pflege hier nicht nur der stillen Forschung, ich wirke auch weit hinaus in ferne Kreise durch meine That.“

„Welche That?“

„Ich fische Menschen, mein lieber Gast – bevor sie in das Wasser gefallen sind. So habe ich dem Flusse schon manchen Cadaver abgerungen und daraus etwas Tüchtiges gemacht. Mancher ist mir zu einer wahren Pracht gediehen. In ihrer tiefsten Verzweiflung nehme ich die Menschen und knete sie um … So, du willst dich tödten? Gut, gut, ich rathe dir nicht ab. Ich sage nur: warte noch ein Weilchen und arbeite einmal mit deiner Verzweiflung. Denn die Verzweiflung ist ein kostbarer Stoff, aus dem sich die herrlichsten Dinge erzeugen lassen: Muth, Selbstverleugnung, Standhaftigkeit, Aufopferung … Und in jedem einzelnen Falle fand ich für das gerettete Leben eine Verwendung. Den Störrigsten empfahl ich, ihren Untergang in einer großen Aufgabe zu suchen, und

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/248&oldid=- (Version vom 1.8.2018)