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in voriger Zeit als Hexenmeister verbrannt worden. Welch ein Wunderreich ist die organische Chemie.“

„Fischer, Wirth, Alchymist, wer sind Sie endlich?“

Es kam keine grade Erwiderung: „Die Alchymisten waren närrische oder niedere Bursche. Gold! Was ist das für ein pöbelhafter Traum. Wir suchen jetzt etwas Anderes in der Retorte: Brot – oder auch ein Gold, wenn es Ihnen so gefällt, das Gold, das jetzt nur in den blonden Aehren ruht. Wer das findet – er steht vielleicht in dieser Nacht irgendwo in der Welt an einem Herd wie meiner da, vielleicht werde ich selbst der glückliche Mann sein, vielleicht wird er erst in hundert Jahren geboren – aber wer das findet, der wird das Antlitz der Erde und die Schicksale aller Menschen verändern. Das Geheimniß schlummert noch in einem Stoff, den wir gewiß kennen, an dem wir vorübergehen. Ein Zufall, ein Genieblitz oder eine Ungeschicklichkeit kann einmal die Verbindung herbeiführen … Leben, nur leben, um das noch zu sehen!“

„Man sollte demnach,“ sagte der Professor, „aus Neugierde, oder, höher, aus Lust an der Erkenntniß leben? Aber Sie vergessen: Qui auget scientiam, auget et dolorem.

„Und wenn dem so wäre,“ rief der Wirth, „ist es schön und tragisch, über die eignen Schmerzen hinwegzugehen, hinauf. Nur die Canaille denkt an ihr Behagen. Wer ein Mensch ist, will und soll erkennen, und er klärt sich im Leiden. Wer sind Sie, mein lieber Gast?“

„Ein Lehrer der Philosophie.“

„Und Sie wollten ins Wasser gehen? Ich kenne Ihre Gründe nicht, aber um Ihnen Muth zu machen, daß Sie sich mir anvertrauen, werde ich Ihnen zuerst meine

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 241. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/246&oldid=- (Version vom 1.8.2018)