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mich in Ihr Laboratorium führen wollen, so werden wir einander vermuthlich kennen lernen.“

„Gut, Wein gibt es auch in meiner Werkstatt, natürlich echten, gepreßt aus wirklichen Trauben.“

Das Laboratorium war eine durch verschiebbare Eisenthüren getheilte, große Halle. Die Hälfte eine chemische Küche mit großem Herd, Retorten, Tiegeln, Flaschen, Gläsern und vielerlei wunderlich geformtem Geräth; die andere Hälfte das weiche, bunte Nest eines Künstlers mit Büchern, Bildern, Broncen, Marmorstatuetten, Seidenteppichen, Waffen und Blumen. Der Wirth stellte eine Flasche Rheinwein hin, lud zum Trinken ein, ging aber dann an den Herd, machte Feuer unter einer Blase und schien seinen Gast allmählich zu vergessen. Dieser trank ein Gläschen und durchforschte die Kunstschätze des seltsamen Ortes. Vor einer reizenden Copie der Gioconda des Lionardo hielt er lange still; hierauf entzifferte er mit Vergnügen die Inschrift eines verwitterten römischen Grabsteines, der in einer Ecke stand, endlich gerieth er zwischen die alten Bücher und schwelgte.

Es waren vielleicht Stunden vergangen, als ihn der Hausherr anrief: „Langweilen Sie sich nicht?“

Da erst fiel ihm wieder ein, wie weit er vom Zweck seines Ganges nach dem letzten Ufer abgekommen war. Nun schritt er hinüber in die chemische Werkstatt, und er blickte fragend.

„Ich jage Wasserdämpfe durch diese träge Masse,“ sagte der Wirth gleichsam als Antwort. „Der Dampf nimmt die leichten Oele mit, und ich fange sie dann auf. Ist es nicht eine zarte Vorstellung, etwa wie ein Elfentanz? Ah, für viel geringere Künste, als ich sie da treibe, als sie jeder kleine Student der Chemie treibt, wäre man

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/245&oldid=- (Version vom 1.8.2018)