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unten, dicht am letzten Ufer, stand noch ein Haus, das ehemals nicht dagewesen, und vor seinem Thore flackerte trüb das Licht einer Laterne. Bei deren Scheine las der Professor die Inschrift eines Schildes: „Wirthshaus zum Anilin“. Jenes große Gebäude war also eine Fabrik der Farbstoffe. Indem der Professor dies feststellte, wunderte er sich zugleich über die Aufmerksamkeit, die er in einem solchen Augenblicke den gewöhnlichen Dingen zuzuwenden vermochte. Er gab sich unverzüglich die Erklärung: der bedeutende Augenblick erhebt alles Umgebende zur Wichtigkeit. Und nun stand er am Ufer. Das Bild war düster und groß. Oben hinter den jagenden Wolken ab und zu ein weißer Schein, dort die dunkle Masse der Fabrik mit den Rauchminarets und hier unten die dumpf rauschenden Wellen – sein Grab. Er bog sich vor …

Da rief die Stimme eines Unsichtbaren: „Sie! Die gute Stelle ist weiter abwärts.“

Der Professor schrak zusammen, dann ermannte er sich, lugte schärfer aus und gewahrte den Mann, der auf einem Baumstumpfe saß und seine Pfeife rauchte.

„Wovon sprechen Sie, mein Bester?“

„Ich dachte, Sie wollten sich ersäufen.“

Der Professor war durch den Ausdruck verletzt. „Ersäufen!“ murmelte er, stellte es aber nicht förmlich in Abrede, fügte nur hinzu: „Und was thun Sie hier?“

Der andere blies in seine Matrosenpfeife, daß die Funken stoben, und erwiderte behaglich: „Ich fische Menschen.“

Den Selbstmörder überlief eine Gänsehaut. Er sagte entrüstet: „Das ist ein sauberes Handwerk!“

„Nicht das ärgste!“

„Und was fangen Sie mit – mit den Menschen an?“

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 237. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/242&oldid=- (Version vom 1.8.2018)