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Der Akademiker sagte: „Mein lieber Herr Wirth, unter den Bankerottirern gibt es wahrscheinlich Viele, die Ihrem Buonaparte ähneln. Dieser Fall hat nur größere Dimensionen. Der Unternehmer ist ein rechnender Phantast. Die reine Formel vom Unternehmer ist immer die gleiche, welche Sachen oder Werthe Sie auch an Stelle der mathematischen Zeichen setzen mögen.“

Pétout grüßte unwillkürlich militärisch: „Zu Befehl, Herr! Wenn ich es auch nicht verstehe.“

Und die Marquise lächelte: „Offen gestanden, Godefroy, ich auch nicht.“

Dieser spann seinen Gedanken weiter: „Stellen wir uns nun vor, dieser Buonaparte wäre damals nicht links, sondern rechts gegangen; was wäre dann aus dem Chaos der Republik entstanden? Man legt bei der Abschätzung bedeutender Persönlichkeiten zu viel Gewicht auf den Charakter und zu wenig auf den Zufall, der sie zur Geltung brachte. Ich meine, auch die großen Männer sind eine Saat, von der nicht alle Keime aufgehen. Die Frage ist nur, ob es für die Menschheit gut oder schlecht ist, daß nicht alle großen Männer zum Vorschein kommen.“

Die Thür wurde aufgestoßen, und der kleine fette Mann trat wieder ein.

„Pétout!“ sprach er, „gib mir ein Stückchen Käse!“

„Sonst nichts?“ wagte der Wirth zu fragen.

„Nein, Du Dummkopf!“ brüllte der Alte wüthend.

„Ich habe heute keinen Appetit. Willst mich wohl aus Deiner schmierigen Höhle verjagen, Du Rindvieh?“

Auf das Geschrei kam hinter dem Schanktisch eine dicke, bejahrte, nachlässig gekleidete Magd hervor.

„Was ist das schon wieder für ein Lärm?“ schrie sie.

Beim Anblick dieses Weibsbildes heiterte sich das

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 231. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/236&oldid=- (Version vom 1.8.2018)