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Bedürfnisse des Publicums in einer ausgiebigen Weise. Zur selben Zeit war nämlich den beiden Blättern die Besprechung wichtiger politischer Fragen, ja selbst die Erwähnung freimüthiger wissenschaftlicher Bestrebungen durch behördliche Maßnahmen sehr erschwert worden. (Diese Geschichte spielt, wie man hieraus ersieht, nicht in der Gegenwart.) Ein in späterer Zeit zu Flügeln gekommenes Wort besagt zwar, daß eine Zeitung bloß aus Druckerschwärze und Papier bestehe, aber praktische Rücksichten auf den Leserkreis haben die Redactionen von jeher veranlaßt, auch Nachrichten und Raisonnements in das Blatt zu setzen. Es sind sogar Fälle bekannt, in denen man sich nicht schämte, lyrische Gedichte zu bringen. Und so wurde denn das Schaumschlager’sche Jubiläum von den beiden Journalen sehr eingehend gewürdigt. Sehr eingehend. Wie bei jedem bedeutungsvollen Anlasse rivalisirten auch diesmal die beiden Blätter auf Tod und Leben. Der Sieg blieb allerdings unentschieden. Denn in der Beleuchtung der sozialen Wichtigkeit dieser Jubelfeier zeigte sich „Der Unabhängige“ durch zwei geradezu bengalische Leitartikel überlegen. Die „Volksstimme“ war dagegen unerschöpflich in bezeichnenden, rührenden, humoristischen Anekdoten aus dem Leben Schaumschlager’s. Wohl wurde nach einem halben Jahre von einem Mitarbeiter des „Unabhängigen“ festgestellt, daß dies alte, abgelegte Dawison-, Devrient- und Döring-Anekdoten gewesen seien, doch da hatte die Enthüllung nicht mehr den Reiz der Actualität.

Die Bevölkerung der Residenz huldigte also dem ausgezeichneten Jubilar. Die Vorstellung am Festabend war eine Kette rauschender Ovationen. Wenn im Stücke eine Stelle vorkam, wie etwa: „Hab’ ich das nicht gut gemacht?“ oder „Wie finden Sie mich heute?“ und dergleichen, so fiel

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 206. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/211&oldid=- (Version vom 1.8.2018)