vorstellst! Ich habe gar nichts erlebt. Als junger Gänserich flog ich wohl über den Rhein – da hast Du meine Geschichte.“
„Hilft Dir nichts, Du mußt mir erzählen! Wenn schon nicht Alles, so doch Dein merkwürdigstes Abenteuer.“
„Mein – merk–wür–digstes – Abenteuer?“
„Ja wohl! …“ Frau Clara unterbricht sich mit einem leichten Aufschrei. Kurt ist im Spielen hingefallen und scheint sich weh gethan zu haben, denn er heult. Sie springt auf und eilt in mütterlicher Aengstlichkeit zu dem Knaben hin, um ihn zu trösten und aufzurichten.
Fritz ist ruhig sitzen geblieben. Jetzt nimmt er mechanisch das von Mergenthien zurückgelassene Buch in die Hand, klappt es auf. Die Intelligenz! … Mit einem Mal bleibt sein nachlässig streifender Blick an einer Stelle haften. Von Schmetterlings-Verwandlungen ist die Rede. Er liest:
„Wenn uns ein Schlaf, gleich jenem der eingepuppten Raupe, in der Mitte unseres Lebens befiele und wir nachher mit verwandelten Sinnen und einem so ganz anderen Nervenapparat erwachten, wie die zum Schmetterling gewordene Raupe – der Bruch zwischen diesen unseren zwei Verkörperungen wäre dann sichtbarlich ebenso mächtig bei uns, wie bei jenen.“
Fritz überliest die Worte noch einmal, halblaut: „Wenn uns ein Schlaf befiele …“ Er träumt in die Zeilen hinein, bis ihm die Buchstaben vor den Augen flimmern. Oder blendet ihn das Sonnenglitzern auf den blauen Wellen? Er schließt die Augen …
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/202&oldid=- (Version vom 1.8.2018)