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Es dauerte volle drei Wochen, bis J. H. Windall den Ton der guten Gesellschaft wiedergefunden hatte. Denn er war eine kräftige Natur, die allem lange widerstand. Aber die Langeweile machte ihn gefügig. Ah, nicht jene alte Langeweile, die ihn vordem geplagt. Eine genußsüchtige, lebenslüsterne war es – etwas wie die Sträflingsgier nach freien Himmeln, weiten Spaziergängen. Er ließ sich die Zeitungen bringen und las mit wachsender Leidenschaft die Sportberichte vom männlichen Football bis hinunter zum harmlosen Lawn Tennis. Die Mittheilungen aus dem Skating Rink und Anzeigen von Tanzunterhaltungen versetzten ihn in hitzige Aufregung. Er wäre überall gern dabei gewesen, wo man zwei gesunde Füße braucht. Diese Seelenstimmung führte er endlich in einem elegischen, aber höflichen Schreiben an Dr. Boaster aus, den er um seinen Besuch bat.

Der berühmte Arzt erschien.

Und bitter, wenn auch sanft sprach John Habakuk:

„Wollten Sie mir so das Leben angenehm gestalten, indem Sie mich zum Krüppel machten?“

„Mein junger Freund,“ erwiderte Jener, „das Leben ist schön – nur muß einem etwas dazu fehlen. So ging meiner Weisheit Schluß.“

„Und Sie verhinderten mich für immer daran, was ich am meisten liebe: Tanzen, Reiten, Laufen!“

„Mister John, man liebt nur das, was man nicht haben kann! … Uebrigens habe ich mich mit einem ausgezeichneten Mechaniker in Verbindung gesetzt. Schon arbeitet er an einem künstlichen Fuß für Sie, der es Ihnen möglich machen wird, ohne Krücke zu gehen. Es soll ein Meisterwerk werden. Kein Mensch wird ahnen, daß nicht auch Ihr rechter Fuß von Fleisch und Bein ist. Kostet 8700 Dollars.“

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/192&oldid=- (Version vom 1.8.2018)