Vanderbilt ausgeschlagen. Mich aber betete sie an. Ich verließ sie.“
„Weshalb?“
„Eines Sommerabends – wir saßen in ihrem Parke, der mit dem Fundus instructus drei Millionen unter Brüdern werth ist… Wir saßen auf der Steinterrasse vor dem Schlosse… Sagte ich schon: es war Sommerabend? Die Nachtigall schlug im Gebüsche – es duftete die Luft – der Mond schien – da entdeckte ich plötzlich, daß Miß Lillian Sleed mich mitsammt ihrer Liebe und ihrem Reichthume fürchterlich langweile. Ich erhob mich und theilte ihr mit, daß ich am nächsten Tage, in Folge einer Wette, nach Irkutsk in Sibirien reisen müsse. Das leuchtete ihr vollkommen ein. Sie reichte mir in lieblicher Wehmuth ihre weiße Hand, die ich zum Abschiede küßte. Und ich ging nach Irkutsk. Als ich wiederkam, war sie noch unvermählt. Sie ist es noch heute, obwohl sie weiß, daß sie auf mich nicht zu hoffen hat. Sie ist mir zu schön, zu gut, zu reich – mit Einem Wort: zu vollkommen. Vollkommenheit ist unerträglich.“
„Das haben Sie gut herausgefunden, Mister Windall … Aber es gibt auch fehlerhafte Frauen.“
„Weiß ich. Und die mag ich erst recht nicht.“
„Ein schwerer Fall, Mister Windall! … Ich nehme an, daß Sie es auch schon mit verschiedenen Arten der körperlichen Ermüdung versucht haben.“
„Hab’ ich.“
„Kann’s mir denken. Die alte Schule der Heilung vom Spleen.“
„Alles nichts für meinen Fall, Doktor! Habe monatelang meine eigenen Schweine gehütet. Ich arbeitete längere Zeit in einem englischen Bergwerke. Fing dabei an zu
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/186&oldid=- (Version vom 1.8.2018)