Im Vorzimmer des berühmten Arztes standen zwei buntlivrirte Mohren regungslos und wie aus Holz geschnitzt. Dem jungen Mann, der eben eingetreten war, half ein außerordentlich correcter Kammerdiener, der wie ein Marquis aussah, beim Ablegen des Ueberrockes. Dieser Kammerdiener war auch wirklich Marquis, ein ehemaliger Löwe von Paris, der nach erfolgter Ausballotirung aus dem Cercle Impérial sich vorsichtsweise nicht erschossen hatte, sondern ausgewandert und in New-York nach dem gesunden Grundsatz vom lebendigen Hund Kammerdiener geworden war. Der Marquis gab Rock und Hut des jungen Mannes dem einen Mohren, worauf der andere wie ein gut geschmierter Automat den Arm erhob und eine Wartenummer hinhielt.
Der Besucher machte eine verächtlich ablehnende Bewegung und sagte kurz:
„Ich wünsche nicht zu warten.“
Der Marquis zuckte bedauernd die Achseln:
„Sir, ich könnte auch dem Präsidenten der Vereinigten Staaten nur die Nummer 48 geben.“
Der Ankömmling griff wortlos in die Tasche, reichte ihm eine Handvoll Dollars.
„Ach so!“ hauchte der Marquis und schnappte ergebenst zusammen, wie er es einst von seinem eigenen Kammerdiener gesehen hatte. (Das sind die unverlierbaren Vortheile einer schönen Abstammung.)
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/182&oldid=- (Version vom 1.8.2018)