Begleiterin nicht zu sehen. Ich verstehe das bequeme Mönchsthum. Aber das taugt doch bloß für den, der glaubt. Andere flüchten in die Gelehrsamkeit, spiegeln sich vor, daß sie etwas wissen und gehen Abends würdevoll zum Bier. Was aber soll ein moderner Mensch, wie ich, thun, der an nichts glaubt und nichts weiß, dem keine Arbeit über den Tag und keine Schwelgerei über die Nacht hinweghilft? Ein Mensch, der bestimmt war, in den Boudoirs der Tänzerinnen herumzulungern und seine Zeit mit der Anschauung der schönen Rosalinde verbringt…“
Er hielt inne und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Sein Gefährte ging stumm neben ihm her. Nach einer Weile sagte der Erste wieder mit gezwungenem Lachen:
„Zum Teufel! Wie bin ich eigentlich dazu gekommen, Ihnen das alles vorzuschwatzen? Wovon sprachen wir den vorher? Revenons!
„Wir sprachen vom Bankett.“
„Richtig. Sie müssen mir noch sagen, warum Sie heute so nüchtern blieben. Das ist doch sonst nicht Ihre Gewohnheit.“
„Welch ein Vorwurf! Es ist ganz einfach; ich wurde abgerufen, und als ich nach einer Stunde zurückkehrte, fand ich mich in die vorgerückte Stimmung nicht mehr hinein.“
„Hm, ja… Sehen Sie, junger Mann, das ist ein passendes Gleichniß für meinen Fall. Ich wurde auch vom Bankett des Lebens abgerufen, und als ich wiederkam, verstand ich die Lustigkeit der Anderen nicht mehr. … Darum meide ich für gewöhnlich die Geselligkeit.“
„Nach dem, was Sie mir sagten, muß Ihnen das Alleinsein noch unerträglicher werden.“
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/178&oldid=- (Version vom 1.8.2018)