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war nämlich ein reizender blonder Mensch, und seine Brust bis an den sonnengebräunten Hals hinauf blüthenweiß, wie die eines Mädchens. Ich empfand plötzlich eine unklare Sympathie für ihn. Warum schlugen wir uns eigentlich? Wegen einer Dummheit, die durch das geringste Entgegenkommen hätte können aus der Welt geschafft werden. Und jetzt mußten wir weiter bis zur Kampfunfähigkeit. Der hellste Blödsinn! Meine Aufmerksamkeit ließ nach. Ich wurde zerstreut und starrte wie gebannt nach der rothen Linie auf dem weißen Grunde. Ich fing an, mir Blößen zu geben und bekam denn auch endlich eine unparirte Terz auf den Arm. Ich war kampfunfähig. Wir reichten einander gutmüthig die Hände – ich ihm die linke. Die Sache war ausgeglichen.“

„Ihr Gegner war doch wohl kein verkleidetes Weib?“

„Hahaha! Was fällt Ihnen ein?“

„Ja, wozu erzählen Sie mir dann eigentlich eine so alltägliche Begebenheit?“

„Warten Sie!… Der Arzt versah meine Wunde. Sie war ganz anständig, Knochensplitter et caetera. Während des Verbindens saß ich zufällig vor einem Spiegel. Kein Handgriff des Doktors entging mir. Ich schaute ihm zu, wie er mit den blanken Instrumenten an mir herumarbeitete. Ein sonderbares Gefühl. Ich spreche nicht vom körperlichen Schmerz, sondern von dem andern… Haben Sie schon jemals Ihr eigenes Skelett gesehen?“

„Brrr – ist das ein schauderhafter Spaß!“

„Nicht wahr brrr?… Und Sie besitzen gewiß auch den vorschriftsmäßigen Muth, den Jeder von uns haben muß. Aber diese Vorstellung ist so entsetzlich – so entsetzlich! Finden Sie, daß dies eine zwecklose Grübelei ist? Möglich. Aber seit Jahr und Tag schleppe ich mich

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 168. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/173&oldid=- (Version vom 1.8.2018)