„Entsetzlich? Sie übertreiben!“
„Glauben Sie? Dann haben Sie sich nie über diesen sonderbaren Zustand Rechenschaft gegeben. Für mich gibt es nichts Peinlicheres. Ich weiß nur nicht, warum ich mich immer wieder herumkriegen lasse, an solchen Tafeln Platz zu nehmen. Wo ich mir doch vorher sagen kann, daß ich sie mit Schaudern erblicken werde, die schöne Rosalinde!“
„Rosalinde, Rosalinde? Kenn’ ich nicht!“
„O das ist nur so ein Spezialwort von mir. Es bedeutet für mich eine Reihe von Erlebnissen, Stimmungen, Gedanken… Wird Sie wohl nicht interessiren, junger Mann!“
„Im Gegentheile, riesig! Ich habe mich immer gefragt: hat denn dieser Mensch – ich meine damit Sie – gar keine Abenteuer?… Denn Sie wissen Ihre Leidenschaften brillant zu verbergen… Was war’s also mit Ihrer schönen Rosalinde? Los! Erzählen Sie!“ Der ältere Herr lachte leise: „Sie erwarten offenbar eine Liebesgeschichte. Werden Sie enttäuscht sein! Na, übrigens, Sie haben mich provozirt. Ihre Schuld… Auch habe ich jetzt schon lange nicht davon gesprochen. Es drückt mich wieder einmal furchtbar. Es will heraus… Die Sache beginnt mit einem Duell.“
„Sie schlugen sich für die schöne Rosalinde?“
„Sie vermuthen ganz falsch… Hören Sie mir ganz geduldig zu! Jener Zweikampf fand aus irgend einem albernen Anlaß statt. Aber es war ein anständiges Duell, nämlich der Eine nicht stärker oder geübter in den Waffen, als der Andere. Eine ganz gleiche Partie. Säbel, ohne alle Binden, bis zur Kampfunfähigkeit. Nicht meine erste Affaire und ich war deshalb nicht übermäßig aufgeregt.
Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/171&oldid=- (Version vom 1.8.2018)