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zu Der oder Dem. Man hat seine Freiheit wieder, ohne daß man sich jedoch während der Dauer des Verhältnisses gar zu ängstlich für gebunden gehalten hätte.

Ich kann nicht sagen, daß ich der Verführung widerstanden habe; denn es nahm sich keiner die Mühe. Ich war nur das Zielblatt kameradschaftlich roher Späße, und das Gewieher jedes spottlustigen Publikums galt vor allem mir. Meine Häßlichkeit war wohl hauptsächlich schuld daran, aber ich spielte auch schlecht; schlechter noch als Jene, die kein Talent hatten. Ich besaß nämlich schon damals Ohr für meine eigene Rede und Augen für meine Bewegungen. Kaum war mir ein Ton entgleist oder eine Gebärde mißrathen, so empfand ich es blitzartig, verlor alle Fassung und stockte. Schlimmer noch war meine Befangenheit, die nicht dem üblichen Lampenfieber glich. Denn ich trat immer unerschrocken hinaus, hielt mich sogar gelassen und aufrecht, wenn man zischte oder pfiff. Nur in den Liebesscenen, die ich zu spielen hatte, überwältigte mich diese Bangigkeit, die eigentlich – Schamhaftigkeit war. Ja, es klingt närrisch: ich schämte mich vor den Zuschauern, wie wenn sie Mitwisser eines zärtlichen Geheimnisses meines Herzens geworden wären; wie wenn die cachirte Liebeserklärung meines jeweiligen ungeschlachten Partners wirklich mir gegolten hätte.

Ich bekam ja außerhalb der Bühne nie solch einen heißen Blick oder ein leidenschaftliches Geständniß. Darum verwirrte mich das, verschlug es mir den Athem. Es war Mädchenthum in diesem einfältigen Betragen oder, wenn Sie wollen: Keuschheit, Verschämtheit. Nun darf aber eine Schauspielerin brav und tugendhaft sein – und ich kenne genug, die es sind – verschämt darf sie nicht sein. Vom Kopf bis zu den Füßen ist sie immer den gierigen

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/161&oldid=- (Version vom 1.8.2018)