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wäre. Doch wem von den Göttern solche Gnade ward, wie mir, der darf das Köstliche nur gegen das Köstlichste hingeben. Am Tag, an dem mein Wunsch erfüllt wird, schenke ich der Menschheit für alle Zeit das Brot. Brot ohne Schweiß, von keinem Mißwachse bedroht, im Ueberfluß, auf ewig. …“

Kroisos sagte erschüttert: „Wir haben Dich gehört. Geh’ und erwarte meine Entscheidung!“

„Wenn dem so ist“, meinte Aesop, „könnte er doch immerhin anfangen, Mehl für die Armen zu machen. Warum sollen die auch nur eine Stunde unnütz hungern? Du magst Dein Geheimniß vorläufig für Dich behalten, lieber Eukosmos; wenn Du ein Herz im Leibe hast, und gewissen Leuten gefallen willst, die auch ein Herz im Leibe haben sollen, dann beginne mit Großmuth.“

„Gern!“ sagte Eukosmos. „Der König möge mir nur bürgen, daß kein Versuch sein wird, mich zu belauschen, oder mir es abzulisten.“

„Eukosmos, mein Königswort!“

Der Jüngling verneigte sich und ging.

„Nun, was sagen meine Freunde?“ sprach Kroisos, als sie wieder allein waren.

„Gib ihm Deine Tochter, König von Lydien!“ schrie Aesop begeistert.

„Und was ist Dein Rath, Solon?“

„Tödte ihn!“

Kroisos und Aesop sahen den Athener bestürzt an. Es war eine eigene Flamme in seinem Blicke.

Der König faßte sich zuerst: „Du meinst, Solon, wenn er mich belogen hat?“

„Nein, König der Lyder! Du sollst ihn tödten, wenn er die Wahrheit gesprochen hat!“

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Theodor Herzl: Philosophische Erzählungen. Gebrüder Paetel, Berlin 1900, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Herzl_Philosophische_Erzaehlungen.djvu/16&oldid=- (Version vom 1.8.2018)